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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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die Amerikaner ihn voraussichtlich mit einem Veto belegen. Carters Politik sei in beängstigendem Ausmaß von Wahlkampfüberlegungen bestimmt. Dies bestätigte sich im Vorfeld des sechsten Weltwirtschaftsgipfels, der am 22. und 23. Juni in Venedig stattfand.
    Am 16. April teilte ich Carter telefonisch den bevorstehenden Entschluß der Bundesregierung mit, dem Nationalen Olympischen Komitee zu empfehlen, nicht zu den Olympischen Spielen zu gehen; tags darauf wurde der Entschluß den deutschen Sportverbänden im Vorwege übermittelt, die formelle Kabinettsentscheidung erfolgte am 23. April. Ich hätte – wie Carter wisse – schon im Januar vor dem Bundestag und dann noch einmal bei meinem Besuch in Washington erklärt, es liege an Moskau, die Voraussetzungen für eine Teilnahme zu schaffen; dies sei aber nicht geschehen. Ich rechnete damit, daß die deutschen Sportverbände der Empfehlung folgen würden. Wir hätten diesen Entschluß schweren Herzens gefaßt.
    Zugleich habe ich Carter auf einen von mir in mehreren öffentlichen Reden vorgetragenen Gedanken hingewiesen, der mir im Rahmen des Doppelbeschlusses geeignet erschien, die Sowjets unter Wahrung ihres Gesichtes zu den vom Westen angestrebten Rüstungsbegrenzungsverhandlungen über die Mittelstreckenwaffen zu bringen. Der Vorschlag lief auf ein Zwischenabkommen
zwischen Washington und Moskau in Form von zwei einseitigen öffentlichen Erklärungen hinaus, bis Ende 1983 keine Mittelstrekkenwaffen zu dislozieren. Ein solches Moratorium bedeute für den Westen keinen Nachteil, da er noch drei Jahre für die Produktion der Pershing II benötige, während die Sowjets ohne Zwischenabkommen bis 1983 ihren großen Vorsprung ausbauen könnten. Eine Zwischenvereinbarung begrenze diesen sowjetischen Vorsprung auf den ohnehin erreichten Stand, erwecke aber den Anschein einer gleichgewichtigen Vereinbarung, unter deren Dach die eigentlichen Begrenzungsverhandlungen im Sinne des Doppelbeschlusses beginnen könnten. Ich hoffte, so sagte ich, daß dieser Vorschlag die amerikanischen Abrüstungsexperten interessiere.
    Carter erwiderte, mit Rücksicht auf die »wacklige Haltung in Italien und Holland« müsse der Anschein vermieden werden, daß man am Doppelbeschluß rüttele. Er plädiere dafür, meinen Vorschlag nebst einer Erläuterung den anderen NATO-Partnern zuzuleiten und dabei klarzumachen, daß er keine Abweichung vom Doppelbeschluß vom 12. Dezember 1979 darstelle. Ich stimmte zu, und so geschah es auch. Im übrigen, sagte ich Carter, würde ich sehr ärgerlich werden, wenn jemand versuchen sollte, die Dezemberentscheidungen in Frage zu stellen. Carter bedankte sich, und wir kamen überein, die Tatsache unseres ausführlichen Telefongespräches bekanntzumachen. Ich benutzte den Gedanken eines Moratoriums auch in einer öffentlichen Rede in Düsseldorf – zum Mißvergnügen von Außenminister Genscher.
    Im Mai gab es dann mehrere kritische Äußerungen amerikanischer Regierungsangehöriger wegen angeblicher Loyalitätsmängel der Europäer gegenüber den USA. Vor allem Giscards Treffen mit Breschnew im Mai in Warschau erregte Zorn im Weißen Haus. Ende Mai erschien ein von Washington inspirierter Aufsatz in »Business Week«, der Giscard und mich gleichermaßen angriff. Er stellte die unsinnige Behauptung auf, ich verlöre meine (angebliche) Fähigkeit, dank meiner Freundschaft mit Giscard ein Ausscheren Frankreichs aus der Allianz (!) zu verhindern; auch hätte ich mit meinem Vorschlag eines Zwischenabkommens den Doppelbeschluß widerrufen. Meine bevorstehende Moskaureise sei
eine »gottgesandte« Propagandachance für die Sowjets; ich sei auf dem Wege in die Neutralität Deutschlands. Ich habe derartigen Unfug nicht ernst nehmen können – wohl aber tat dies Jimmy Carter, aus dessen Mitarbeiterkreis die Inspiration zu diesem und anderem Gebräu vermutlich gekommen war.
    Jedenfalls erhielt ich unter dem Datum des 12. Juni einen erstaunlichen Brief Carters, der von Washington unverzüglich an die Presse lanciert wurde. Im ersten Satz bezog sich der Präsident auf »widersprüchliche Presseberichte«. In einigen werde »unzutreffenderweise behauptet, Sie hätten ein Ost-West-Einfrieren der stationierten Mittelstreckenwaffen vorgeschlagen; andere Berichte schließen ein, Sie hätten die Sowjets aufgerufen, für einen bestimmten Zeitraum keine weiteren Mittelstreckenwaffen zu stationieren. Im Hinblick auf Ihre bevorstehende Reise nach Moskau erscheint es mir angebracht,

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