Menschen und Maechte
Lage zusätzlich gefährden könnten; die USA seien doch in jenem Teil des Mittleren Osten auf dem Felde konventioneller Machtmittel sehr schwach. Ich warnte davor, durch demonstrative militärische Lieferungen an die Volksrepublik China der Sowjetführung das Gefühl einer erneuten Einkreisung zu geben, wo diese tatsächlich doch gar nicht beabsichtigt sei.
Vance meinte, man habe die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu China nur mäßig entwickelt; aber die sowjetische Seite habe jetzt verstanden, daß die Zeit der amerikanischen Gleichbehandlung der beiden kommunistischen Großmächte vorüber sei. Er glaube, die »energische Reaktion« Washingtons auf die sowjetische Besetzung Afghanistans werde zum Rückzug und zur
Wiederherstellung des Status quo ante, also eines neutralen Afghanistan führen. Im übrigen wolle man die Drähte zum Kreml aufrechterhalten. Auch SALT I und II wolle man nicht gefährden; SALT II werde möglicherweise noch 1980 erneut zur Ratifikation vorgelegt werden, die Abrüstungsgespräche würden fortgesetzt und insgesamt solle das »Grundgerüst der Ost-West-Beziehungen lebendig gehalten« werden.
In diesem Falle habe Brzezinski mit seiner Maschinenpistole im pakistanischen Flüchtlingslager das falsche Signal gegeben, meinte ich. Wenn die Sowjets den Eindruck gewinnen sollten, daß nunmehr eine neue Runde des Wettrüstens bevorstehe, dann könnten sie auch zu dem Entschluß gelangen, die gegenwärtige Phase ihrer relativen Stärke zu nutzen, da sie ein Wettrüsten nicht gewinnen könnten. Wir Deutschen hätten jedenfalls Bedenken gegen einen neuen Rüstungswettlauf, und keineswegs wollten wir als einziger Bündnispartner der USA in einen solchen hineingezogen werden. Dies gelte auch für unsere Haltung zu Handelssanktionen gegen Moskau; wir hätten wirtschaftliche Verträge mit Moskau und wollten nicht vertragsbrüchig werden. Ich verwahrte mich gegen die wiederholte amerikanische Kritik an unseren Verteidigungsanstrengungen und wies auf unsere Mobilisierungsstärke hin. Wir vergäßen bei alledem nicht, daß sechzehn Millionen Deutsche in der DDR unter sowjetischer Oberhoheit und zwei Millionen Deutsche in West-Berlin leben; wer von einer Bestrafung der Sowjetunion spreche, der müsse wissen, daß es für die Sowjets ziemlich einfach sei, ihrerseits die Deutschen zu bestrafen. »Wir wollen und werden an Bord des amerikanischen Schiffes sein. Man darf aber nicht zuviel Dampf in der Maschine machen, wenn man noch nicht weiß, wohin die Reise gehen soll … Wir wollen nicht Opfer um ihrer selbst willen bringen.«
Vance sagte im Zusammenhang mit den neuerlichen handelspolitischen Opfern, die von uns erwartet wurden, die Sanktionen gegen den Iran seien »… korrekt gewesen; die Drohung hat gewirkt«. Ich wußte jedoch, daß sie nicht gewirkt hatte und daß Handelssanktionen gegen die Sowjetunion bloß die Wirkung von Nadelstichen haben würden.
Abb 26
Carters Reaktion auf den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan führte zu neuen Spannungen zwischen Bonn und Washington. Über Cyrus Vance (oben links) versuchte Schmidt Einfluß auf den amerikanischen Präsidenten zu nehmen, den er drei Wochen später, Anfang März 1980, besuchte (links).
In seiner »Bestrafungspolitik« gegenüber der Sowjetunion folgte Carter vor allem seinem Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski (im Hintergrund; rechts Botschafter von Staden). Angesichts der völlig unbegründeten Vorbehalte Carters gegen Giscard d’Estaing unterstrich Helmut Schmidt noch einmal die enge Allianz zwischen Deutschland und Frankreich.
Auf meine Frage, wie Washington die weitere Entwicklung im Nahen Osten einschätze, sagte Vance, man sei sich der Notwendigkeit bewußt, »die Palästinenserfrage zu lösen«. Ich hingegen traute den USA weder die Entschlossenheit noch die Fähigkeit zu, über die Golanhöhen, die Gebiete auf dem westlichen Jordanufer (Westbank) und den Gazastreifen eine Vereinbarung herbeizuführen, aber ich sprach es nicht aus.
Der amerikanische Zweifel am französischen Staatspräsidenten kam auch diesmal wieder zur Sprache. Die USA, sagte ich, seien unser wichtigster, Frankreich aber unser engster Verbündeter. Man solle in Washington nicht versuchen, Paris und Bonn gegeneinander auszuspielen; wir würden alles tun, um dergleichen zu verhindern. Im übrigen sei ich mit Giscard einer Meinung, daß der Sowjetunion nicht gestattet werden dürfe, einen Keil zwischen Europa und die USA zu treiben. Aber ohne
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