Menschen und Maechte
Deutschland noch deutlicher hervorgetreten – aber auch grundlegende Verschiedenheiten im nationalen Schicksal. Die großen internationalen Erfolge von Hitachi oder Toyota, Fujitsu oder Sony auf der einen, diejenigen von Mercedes, Bayer oder Siemens auf der anderen Seite mögen dies veranschaulichen. Insgesamt unterscheiden sich die technologischen und wirtschaftlichen Erfolge Japans und der Bundesrepublik
nicht wesentlich voneinander – entgegen deutschen Vor- und Fehlurteilen. Freilich sind japanische Unternehmensleitungen auf Grund ihres Konsens-Führungsprinzips im Schnitt gegenwärtig etwas tüchtiger als die Deutschen. Zwar gibt es wichtige Chairmen und Presidents in jeder japanischen Unternehmung; aber die Entscheidungen werden durch kollegiale Diskussion in den Ebenen darunter erarbeitet und vorgeformt. Ähnlich in den Ministerien. Die Verantwortlichen ordnen nicht per Ukas an, brauchen also anschließend ihre Mitarbeiter auch nicht zu »motivieren«, denn diese wissen selbst, was sie wollen. Dieses Verfahren kostet zwar mehr Zeit als die Führungstechnik der Amerikaner oder der Deutschen, aber es ist sehr wirksam und trägt entscheidend zur personalen Homogenität der Unternehmen oder der ministeriellen Bürokratien bei.
Die Lohn- und Lohnnebenkosten sind in Japan übrigens wegen des bisher nur unzureichend ausgebauten sozialen Sicherungssystems deutlich niedriger als bei uns. Grundlagenforschung und Basisinnovation sind noch nicht sehr verbreitet. Insgesamt ist der japanische Export immer noch etwas niedriger als der deutsche – obgleich Japans Bevölkerung doppelt so groß ist wie diejenige der Bundesrepublik.
Japan hat heute die am stärksten egalitär geprägte Gesellschaft aller großen Industrienationen. Der Unterschied im Lebensstandard zwischen Reich und Arm ist vergleichsweise gering; eine Unternehmervilla mit eigenem Park ist eine große Ausnahme. Nicht die Anhäufung von Privatvermögen, sondern der Erfolg der Firma, der Lebensstandard der Arbeitnehmer und die langfristige Unternehmenssicherung leiten den Chef und sind zugleich die Quelle seines gesellschaftlichen Prestiges. Dem entspricht eine ähnliche Haltung nicht nur aller leitenden Angestellten, sondern der ganzen Belegschaft. Auf diese Weise haben die Japaner einen Wohlstand erreicht, wie er für sie in dieser Höhe vor dem Kriege undenkbar gewesen ist.
Weil sich aber alles auf allerengstem Raume abspielt, erscheinen den Japanern Begriffe wie Disziplin, Hierarchie und Anciennität als unverzichtbar; sie werden nach wie vor akzeptiert. Allerdings hat dieser Konservatismus auch eine recht unsympathische Seite:
Die Frauen sind immer noch Bürger zweiter Klasse und finden lediglich zu Hause eine gewisse Kompensation. Insofern erscheinen Beijing oder Nanjing weit fortschrittlicher als Tokio oder Osaka. Viele Frauen der jüngeren Generation, die unter westlichen Einflüssen aufgewachsen sind, leiden unter der Deklassierung; sie benehmen sich »japanisch« unter ihren Landsleuten, zünden den Herren die Zigarette an und lassen ihnen den Vortritt – in westlicher Gesellschaft dagegen bewegen sie sich ungezwungen. Dieselbe Frau nacheinander in beiden Situationen zu beobachten ist verwirrend und reizvoll zugleich.
Angesichts des Wohlstandes und Überflusses kann die japanische Gesellschaft gegenwärtig nur noch einen Teil der Jugend an sich binden. Dieser Teil büffelt auf Schule und Universität, um später die besseren Jobs in Wirtschaft und Verwaltung zu erlangen und langsam auf der Leiter aufzusteigen. Ein großer Teil hingegen findet sich von diesen Aussichten keineswegs angezogen; seine Frustration äußert sich weniger im Protest als vielmehr im Hang zum Lebensgenuß, zumal die Eltern oft sehr lange finanzielle Beihilfe leisten. Es ist keineswegs nur die ältere, sondern auch die mittlere Generation der Vierzigjährigen, welche Sorgen über Richtungslosigkeit der Heranwachsenden äußert. Viele Japaner ahnen inzwischen, daß ökonomisches Wachstum allein kein Daseinsziel sein kann und daß das Land einer Erneuerung seines geistigen und politischen Bewußtseins bedarf. Die Notwendigkeit der Reform sehen nicht nur Intellektuelle und Sozialisten auf der Linken, sondern ebenso Ministerpräsident Nakasone und andere auf der Rechten – auch wenn die Sozialistische Partei und die LDP sich gegenseitig nicht akzeptieren.
Die fällige Neuorientierung trifft auf Hindernisse, die in der Geschichte gewachsen sind. Von der Isolation auf Grund des
Weitere Kostenlose Bücher