Menschen und Maechte
Inseldaseins war schon die Rede; ebenso von der japanischen Unfähigkeit zu nationaler Reue, Trauer und Scham. Zwar sind sich manche politischen Führer der Tatsache bewußt, daß es Japan an Freunden in der Welt und vor allem in der Nachbarschaft fehlt; man möchte gern Freunde haben – aber man weiß nicht, wie Freunde gewonnen werden. Dem Argwohn der Nachbarn begegnet man mit Verständnislosigkeit.
Die daraus resultierende Vorsicht ist einer der Gründe dafür, daß es nach Kriegsende über ein Vierteljahrhundert praktisch keine japanische Außenpolitik gegeben hat. Aber zugleich hat Tokio die Vertrauensbildung unter seinen Nachbarn unnötig erschwert, indem es sich einbildete, ohne Zeichen des Bedauerns über japanische Invasionen und Untaten davonzukommen. Es bedurfte des Besuches eines südkoreanischen Präsidenten in Tokio, bis endlich, nach fast vier Jahrzehnten, Kaiser Hirohito und Ministerpräsident Nakasone als Sprecher der Nation eine Geste der Scham und des Bedauerns gegenüber den Koreanern zeigten. Aber noch immer werden die in Japan geborenen und dort aufgewachsenen Kinder der im Krieg nach Japan verschleppten Koreaner rechtlich als Menschen zweiter Klasse behandelt.
Ein japanischer Journalist sagte mir einmal: »Ihr Deutschen hattet das Glück, von den in die westlichen Länder geflüchteten Angehörigen der von euch überfallenen Völker – vor allem von den Juden in den USA – gezwungen zu werden, eurer jüngsten Geschichte ins Auge zu sehen und euren nachwachsenden Generationen die Wahrheit darüber zu sagen. Wir Japaner dagegen hatten das Unglück, daß kein Chinese oder Koreaner oder Indonesier die Welt aufmerksam gemacht und damit uns zur Wahrheit gezwungen hat – und aus eigenem Antrieb haben wir sie leider nicht gesucht.« Das ist ein ungenaues Urteil, gewiß. Wahr ist, daß einige Deutsche von der »Gnade der späten Geburt« schwatzen und wieder andere Deutsche bisweilen in den Fehler verfallen, den Heranwachsenden die eigene Geschichte tendenziell als Verbrecheralbum darstellen; beide versimpeln Schuld und Schicksal zu einem Schwarzweißgemälde. Die Japaner tun etwas anderes: Sie verschweigen soweit wie nur möglich die dunklen Seiten ihrer Geschichte in den dreißiger und vierziger Jahren. Hier liegen Gefahren für die Entwicklung des japanischen Denkens. Fukuda hat sie verstanden, Nakasone scheint sie zu verkennen.
Ich traf Fukuda das erste Mal 1971, als ich – damals Verteidigungsminister – einen offiziellen Besuch in Japan machte. Dann sind wir uns als Finanzminister und später als Regierungschefs viele Male begegnet. Gegenwärtig sehen wir uns mehrmals im Jahr,
weil wir beide dem von Fukuda gegründeten »Old Boys Club« angehören; dieser Club, auch »Inter Action Council« genannt, ist eine lose Vereinigung von etwa dreißig Frauen und Männern aus allen fünf Erdteilen, die früher an der Spitze ihrer Staaten oder Regierungen gestanden haben. Mein Urteil über Fukuda ist also von einer langjährigen Freundschaft beeinflußt. Trotzdem glaube ich, daß alle, die ihn genauer kennen, mir in zwei wichtigen Punkten beipflichten werden: Fukuda ist zum einen einer der wenigen Internationalisten unter den japanischen Politikern, ein Mann, der sich bemüht, über die Interessen seines Landes hinaus die Interessen anderer Völker und Staaten zu erkennen und zu respektieren, bedacht auf Ausgleich und Bewahrung des Friedens. Zum anderen ist Fukuda einer der wenigen japanischen Politiker, die sich – einer vergleichsweise deutlichen Sprache wegen – ausländischen Partnern in nachvollziehbarer Weise verständlich machen können. Sato, Miki, Ohira oder Suzuki erschienen mir überaus höflich und verbindlich; aber häufig blieben mir der Sinn ihrer Worte, ihre Urteile und Ansichten verborgen – außerhalb Japans ist es mir ähnlich nur mit Aldo Moro gegangen. An Deutlichkeit wird Fukuda allein von Nakasone übertroffen – aber dessen sprachliche Prägnanz täuscht, wie mir scheint, in hohem Maße über gedankliche Vorbehalte hinweg.
Fukuda hatte sich 1974 als Finanzminister aus dem Kabinett des vom Lockheed-Skandal umwitterten Kakuei Tanaka zurückgezogen; Ende 1976 wurde er Nachfolger Mikis im Amt des Ministerpräsidenten. Auf den Weltwirtschaftsgipfeln 1977 in London und 1978 in Bonn vertraten wir ähnlich gelagerte ökonomische – vor allem energiepolitische – Interessen. Die Wirkungen des ersten Ölpreisschocks hatten Japan und Deutschland als ölimportabhängige Staaten
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