Menschen und Maechte
die USA noch die EG noch der Rest der Welt werden auf Dauer hinnehmen, daß Japan auf diese Weise das größte Gläubigerland der Welt ist. Schon seit über einem Jahrzehnt gibt es immer wieder heftige Vorwürfe der USA an die Adresse Japans; sie waren in der Regel nicht gerechtfertigt, denn die USA sind ihrer eigenen disziplinlosen Haushaltspolitik wegen selbst verantwortlich für ihren Kaufkraftüberhang, ihre Haushaltsdefizite, ihr strukturelles Handelsbilanzdefizit und ihren seit den siebziger Jahren fast jährlich steigenden Kapitalimport. Aber die USA sind der bei
weitem mächtigste Partner Japans. Da Japan sonst keinen Verbündeten hat, wird es wie bisher schrittweise handelspolitischem Druck der USA (und der EG) nachgeben. Tokio wird dabei versuchen, es bei Scheinzugeständnissen zu belassen; sofern aber der Westen sich damit nicht zufriedengibt, wird Japan wie bisher auch im Ergebnis nachgeben. Solche Nachgiebigkeit fällt der heutigen japanischen Führungsgeneration zwar oft genug schwer; weil sie aber unter den Traumata der Kriegs- und Nachkriegserfahrungen leidet, fand sie bisher noch immer Lösungen aktueller Konflikte.
Eine offene Frage ist jedoch die Haltung der nächsten japanischen Führungsgenerationen. Sie übernehmen eine einseitig auf die USA ausgerichtete Außen- und Verteidigungspolitik; zugleich aber wird ihnen eine permanente Konfliktsituation mit den USA hinterlassen. Sie werden sich wachsendem amerikanischem Druck ausgesetzt sehen, wesentlich stärkere Verteidigungsanstrengungen zu unternehmen. Zugleich aber gibt es im japanischen Volk eine starke, ihm seit 1945 anerzogene Abneigung gegen Aufrüstung und eigene militärische Stärke. Hinzu kommt die Ablehnung Japans als Militärmacht durch China, durch alle seine Nachbarn und durch die Sowjetunion. So könnten die verfehlte exportlastige Struktur der japanischen Volkswirtschaft und die verteidigungspolitische Abstinenz der Nachkriegszeit zu ungeduldigen Reaktionen und Pressionen des Westens führen und in Japan schwer abschätzbare Gegenreaktionen auslösen.
Die Gegenreaktionen könnten gegen Ende des Jahrhunderts auch rassistische Ressentiments heraufbeschwören; sie könnten bewirken, daß die innenpolitische Struktur verworfen und die LDP abgelöst wird. Dann wäre auch eine einseitig von Tokio ausgehende tiefgreifende Veränderung der bisherigen Außenpolitik nicht mehr undenkbar, bis hin zum Versuch einer regionalen Assoziierung oder – im Falle, daß dies scheitern sollte – zur gewollten Selbstisolierung durch Nonalignment. Als Giscard d’Estaing und ich 1975 die Weltwirtschaftsgipfel ins Auge faßten, haben wir gerade auch in der Absicht, einer Isolierung Japans vorzubeugen, von Anfang an darauf gedrungen, Tokio einzubeziehen. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre ist jedoch die antijapanische Attitüde in den USA –
vor allem bei den Gewerkschaften, in der Industrie und im Kongreß –, aber auch in Brüssel und in den Hauptstädten der EG-Staaten wesentlich stärker geworden. Im allgemeinen haben die Deutschen etwas mehr Verständnis für das Dilemma Japans; schließlich sitzen sie handels- und wirtschaftspolitisch meist gemeinsam mit der Tokioter Regierung auf der internationalen Anklagebank. Aber um nicht unselige Erinnerungen an den letzten Weltkrieg und an die Achse Berlin-Tokio zu wecken, wird sich jede deutsche Bundesregierung bemühen, ihre Zusammenarbeit mit Japan innerhalb des Rahmens der europäisch-japanischen Zusammenarbeit zu halten und auch so darzustellen.
Auch bei jenem Besuch 1978 in Tokio waren Takeo Fukuda und ich uns der Notwendigkeit bewußt, nach außen nicht zu viel deutschjapanische Gemeinsamkeit zu zelebrieren; die an uns beide gerichteten Forderungen Jimmy Carters auf den Weltwirtschaftsgipfeln 1977 in London und 1978 in Bonn, wir sollten gefälligst unsere Volkswirtschaften »reflationieren«, hatten uns bei der öffentlichen Darstellung unserer bilateralen Beziehungen längst Vorsicht angebracht erscheinen lassen. Im allgemeinen haben die Medien in beiden Ländern die Notwendigkeit dieser Zurückhaltung verstanden und ihrerseits honoriert. Es gab einige wenige Ausnahmen: So kreidete mir die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« während jenes Japan-Besuches ein zu weiches Verhalten gegenüber Moskau an; dahinter stand die Auffassung, die Rivalität zwischen Moskau und Beijing sei für uns und für Europa von Vorteil. Umgekehrt fürchteten Deutschlandfunk und »Nürnberger Nachrichten«, mein
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