Menschen und Maechte
Japan-Besuch und mein Lob für den chinesisch-japanischen Vertrag könnten den Kreml provoziert haben. O heilige Einfalt! Der Berliner »Tagesspiegel« dagegen hatte recht: »Die Deutschen haben es mit der Sowjetunion zu tun, werden aber zum Beweis ihrer Freiheit den Beziehungen zu China nicht ausweichen. Japan hat es mit China zu tun, sollte es aber dennoch nicht unterlassen, die Beziehungen zu Moskau zu verbessern … Sowohl Japan als auch Deutschland [sind] in keiner schlechten Position, sofern sie diese nur klug genug zu spielen wissen.«
Die japanische Presse kommentierte weniger akzentuiert, dafür hat sie aber sehr ausführlich berichtet. Und in beiden Ländern gab es hübsche Photos, so vom Ausflug zu dem großen bronzenen Buddha, der seit dem dreizehnten Jahrhundert in Kamakura fünfzehn Meter hoch in den freien Himmel ragt. Oder auch vom Versuch Takeo Fukudas, meinen Schnupftabak zu probieren. Mein Freund Hans-Jürgen Wischnewski hatte ihm meine Schnupftabaksdose gezeigt; Fukuda schüttete eine Prise auf seine Hand und – leckte sie mit der Zunge auf! »Prima«, sagte er. Wir haben alle gelacht. Bis auf die richtige Benutzung des Schnupftabaks haben die beiden Regierungschefs sich politisch und persönlich sehr gut verstanden.
Ministerpräsident Nakasone habe ich während meiner Amtszeit nur flüchtig kennengelernt; erst später bin ich mit ihm zu längeren Gesprächen zusammengekommen. Als er 1982 (mit Hilfe Tanakas) Ministerpräsident wurde, hatte er in einer langen politischen Karriere bereits viele Ämter ausgeübt. Er galt als ein »Falke« mit stark nationalistischem Akzent, war öffentlich für japanische Aufrüstung eingetreten und hatte – anders als die meisten japanischen Politiker – weder seine Soldatenzeit in der Marine noch seinen Respekt vor den militärischen Leistungen Japans und seine Ehrerbietung vor den Gefallenen verheimlicht. Er wäre deshalb in den fünfziger und sechziger Jahren als japanischer Ministerpräsident für die USA (und für die Mehrheit der Japaner) wohl untragbar gewesen; in den achtziger Jahren jedoch, in denen Reagan die Japaner zu größeren Verteidigungsanstrengungen drängte, wurde Nakasone in Washington zum bevorzugten japanischen Politiker. Dabei kamen ihm seine englischen Sprachkenntnisse und seine anpassungsfähige Beredsamkeit zustatten. Washington glaubte gern an seine proamerikanische Grundhaltung; diese ist auch durchaus echt – aber doch wohl nur ein Mittel zum Zweck, nämlich zur Wiedergewinnung einer der Größe und der geschichtlichen Tradition Japans angemessenen Machtposition. Dieses Ziel Nakasones wurde in Washington zum Teil nicht verstanden, zum Teil wurde es in der Überzeugung in Kauf genommen, man werde schon dafür sorgen, daß Nakasones Bäume – oder diejenigen Japans insgesamt – nicht
in den Himmel wachsen. Gleichzeitig gab es (und wird es auch in Zukunft geben) eine Fülle von handelspolitischen Nadelstichen gegen Japan, die Nakasones Nationalstolz erbittert haben müssen; gezeigt hat er das aber nur ein einziges Mal.
Das außenwirtschaftliche Ungleichgewicht Japans und der damit verbundene Aufstieg zum größten Gläubigerland der Welt – während umgekehrt die USA zum größten Schuldnerland abgesunken sind – werden noch verstärkend auf die außenpolitische Isolation zurückwirken. In den USA und anderen Ländern werden Neid und Angst vor Japan eine noch größere Rolle spielen als heute. Es wäre deshalb nützlich, wenn Japan lernte, seine ungewöhnlich hohe Spar- und Kapitalbildungsrate in weitaus höherem Maße zu Investitionen im eigenen Lande zu verwenden und sie zugunsten des allgemeinen Lebensstandards (Ausbau der Sozialversicherung!) zugleich zu verringern; so könnten im Ergebnis die Leistungsbilanzüberschüsse bis auf einen kleinen Rest abgebaut werden. Es gibt auch bisweilen japanische Vorschläge in dieser Richtung, wie zum Beispiel den nach dem ehemaligen Zentralbankchef benannten Maekawa-Report von 1986. Diese Vorschläge scheiterten bisher jedoch an den eingefahrenen Denktraditionen der meisten LDP-Politiker (einschließlich Nakasones), vor allem aber an der Bürokratie im Finanzministerium (MoF) und im Ministerium für Handel und Industrie (MITI); dazu kommt die Knauserigkeit der japanischen Entwicklungshilfepolitik. Je länger Japan an dem – im Vergleich mit den anderen Industrieländern – ungeheuren Vorteil festhalten kann, nur wenig mehr als ein Prozent seines Bruttosozialproduktes für
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