Menschen und Maechte
fast ausnahmslos ein leicht mürrisches, auch trauriges, etwas schiefes Gesicht. Ich glaube nicht, ihn je Wodka trinken gesehen zu haben. Wahrscheinlich hatte er eine
stille Verachtung für Breschnews Trinkgewohnheiten; denn als ich einmal 1978 im Hamburger Gästehaus in Gromykos Abwesenheit einen übermütigen Toast auf Andrej Andrejewitsch ausbrachte – Breschnew, seine Begleitung und ich hatten schon mindestens zwei Begrüßungswodkas hinter uns –, brach die ganze Runde in unbändiges Gelächter aus; wahrscheinlich wurden zu Hause, seiner Enthaltsamkeit wegen, mit Gromyko keine Trinksprüche gewechselt.
Bei aller betonten Sachlichkeit und auch Bescheidenheit seines Auftretens war er doch ein Mann, der auch theatralische Gesten benutzte, wenn er sie für zweckmäßig hielt. Er konnte dann später stillschweigend über frühere Drohungen hinweggehen, so als habe er sie niemals ausgesprochen. Gromyko hat vom Berlin-Ultimatum Chruschtschows und der Kubakrise über die sowjetischen Besetzungen Prags und Kabuls zum ABM-Vertrag und zu SALT II alle außenpolitischen Operationen der Sowjetunion gerechtfertigt, ausgehandelt – oder geholfen, sie zu vergessen. Ein Mann von großer Flexibilität, zugleich ein großer Patriot.
1975 in Helsinki, während unseres bilateralen Gesprächs, sagte Breschnew über Gerald Ford: »Der arme Mann wird von allen Seiten kritisiert.« Ich antwortete: »Er ist ein vertrauenerweckender Mann; ich hoffe sehr, er wird nächstes Jahr wiedergewählt.« Breschnew: »Ja, aber er hat keine leichte Arbeit.« Darauf ich: »Wer hat es schon leicht? Herr Genscher und ich wollen 1976 auch wiedergewählt werden. Ein Teil unserer Wahlchancen hängt davon ab, wie gut und konkret die Ergebnisse unserer Ostpolitik sind. Je liebenswürdiger Herr Gromyko ist, desto besser für unsere Wahl. Aber Herr Gromyko ist ein sehr vorsichtiger Schachspieler, eigentlich sollte er etwas mehr von der großzügigen russischen Art haben!« Breschnew warf spitzbübisch ein: »Herr Gromyko ist gar kein Russe, sondern ein Weißrusse.«Woraufhin Gromyko trocken bemerkte: »Die Weißrussen sind die besten Russen.«
Im gleichen Gespräch kamen wir unter anderem wieder einmal auf die leidigen Fragen, die aus dem Viermächteabkommen über West-Berlin resultierten. Es gab darüber einen endlosen Wortwechsel, der auf sowjetischer Seite allein von Gromyko geführt wurde, während Genscher und ich uns ergänzten. Ich erinnere
mich an eines meiner Beispiele: Ob es denn wirklich sinnvoll sei, wenn die sowjetische Botschaft uns mitteilt, Herbert von Karajan dürfe als Dirigent der Berliner Philharmoniker bei seinem Eintreffen in Moskau nicht von unserem Botschafter in den VIP-Raum geführt werden.
Gromyko antwortete darauf natürlich nicht, statt dessen wurde er grundsätzlich; dann brachte er Beispiele für angebliche Verstöße unsererseits. Er höre von unserer Absicht, internationale Behörden in West-Berlin zu errichten. Genscher: »An derartigen Gerüchten ist nichts Wahres dran.« Ich fügte hinzu: »Herr Gromyko, Sie sollten nicht zuviel die Prawda lesen.« Jetzt wurde Gromyko laut und böse: »Allerdings lese ich die Prawda, das ist eine gute Zeitung!« Wir lenkten im Ton beiderseits ein, aber das Gespräch drehte sich weiterhin im Kreise. Breschnew blieb lange bloßer Zuhörer des Disputs und stand Gromyko mit keinem Wort bei, obwohl dieser an einer Stelle ihm zugerufen hatte: »Siehst du, so sind die Deutschen!«
Sehr viel später sagte Breschnew: »Was mich stört, ist Ihre explosionsartige Stimmung, Herr Bundeskanzler. Beinahe könnte man glauben, Sie wollten die Zusammenarbeit gar nicht mehr. Aber wenn es so wäre, so würde die Sowjetunion daran nicht sterben.« Ich erwiderte knapp: »Dies gilt ebenso für uns.« Anhand von mancherlei Details wurde die nutzlose Unterhaltung fortgesetzt. Breschnew war entweder mit den Problemen des Viermächteabkommens nicht vertraut – an einer Stelle wies er darauf hin, daß er ja an den diesbezüglichen Unterhaltungen zwischen Genscher und Gromyko in Moskau 1974 nicht beteiligt gewesen sei –, oder er wollte seine Distanzierung fühlbar machen; jedenfalls blieb er weiterhin schweigsam.
Schließlich wendete sich das Gespräch erfreulicheren Themen zu. Am Ende der Unterredung meinte Breschnew zu mir: »Sie dürfen sich nicht gekränkt fühlen. Es ist immer gut, offen die Wahrheit zu sagen. Wir sind für Verbesserungen. In bezug auf West-Berlin ist richtig, was Gromyko gesagt hat.
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