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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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konträrer man sich in der Sache gegenübersteht. Eine kleine Zugabe am Rande war, daß ich immer wußte, welcher unserer Oppositionspolitiker gerade in Moskau antichambrierte (aus nationalen Gründen habe ich solche Besuchswünsche immer unterstützt).
    Die Irritation Breschnews über Carter hatte zwei Ursachen. Zum einen verstand der Russe nicht, zu welchem Zweck der Amerikaner den zwischen Breschnew und Ford im November 1974 in Wladiwostok ins Auge gefaßten Rahmen zu SALT II über den Haufen geworfen hatte; Breschnew jedenfalls hatte den unbestimmten Eindruck, er solle übervorteilt werden. Mich wunderte dies nicht. Ich hatte es Cyrus Vance vorhergesagt, als dieser die europäischen Regierungen über die Absichten seines Präsidenten unterrichtete. Vergeblich hatte ich versucht, die Carter Administration vor den unvorhersehbaren psychologischen Folgen zu warnen. Den Sowjets zweieinhalb Jahre nach der Grundsatzübereinkunft von Wladiwostok im März 1977 vorzuschlagen, von der gemeinsamen Obergrenze für strategische Waffensysteme von je 2400 um bis zu einem Viertel herunterzugehen, und auf eine besondere Begrenzung der schweren sowjetischen Interkontinentalraketen zu drängen, wie Vance es in Moskau tat, mußte den Russen als Herausforderung und als Aufkündigung der Vereinbarung erscheinen. Gromyko nannte dieses Verhalten der Amerikaner in der Presse brüsk »illegal«.
    Zum anderen verstand man in Moskau Jimmy Carters Humanrights-Feldzug als Versuch einer innenpolitischen Unterminierung der sowjetischen Regierung. So hatte es der idealistische Prediger Carter eigentlich nicht gemeint; er verfolgte vielmehr die Hoffnung, durch Beeinflussung der Weltmeinung etwas zugunsten der Freiheit der Person im sowjetischen Machtbereich verbessern zu können. Europäer, welche russische Geschichte und sowjetische Gegenwart besser kannten, wußten: dieser Versuch würde nutzlos bleiben. Sie wußten auch: mit einem solchen Versuch konnte alle Mühe, die man in die Rüstungsbegrenzungsverhandlungen steckte, vergeblich werden, weil er den sowjetischen Partnern das Vertrauen nahm. Deshalb haben die Europäer, unter ihnen jedenfalls Giscard d’Estaing und ich, einen dämpfenden Einfluß auf die Menschenrechtskampagne
Carters ausgeübt. Aber man ist in solcher Lage immer in Gefahr, moralisch völlig mißverstanden zu werden.
    Als einige Jahre später Reagan, Mitterrand und andere Regierungen Lieferungen ihrer Wirtschaft nach Polen boykottierten, glaubten sie moralisch recht zu handeln. Ich hingegen wußte: das polnische Volk litt Mangel, eine Zuspitzung des Mangels konnte zwar zu einer Verschärfung der innenpolitischen Krise führen, diese aber nicht zur Befreiung des polnischen Volkes. Wahrscheinlich würde vielmehr das Gegenteil erreicht werden. Also war es unsinnig, dem darbenden polnischen Volk Lebensmittel vorzuenthalten. Ich rief umgekehrt zu Spenden auf, und zu Weihnachten 1981 schickten die Bürger der Bundesrepublik Pakete im Werte von mehreren hundert Millionen Mark nach Polen. Das war ein Sieg mitmenschlicher, nachbarlicher Solidarität über eine zwar gutgemeinte, tatsächlich aber schädliche Propagandaaktion. Natürlich gab es in der westlichen Welt, sogar in der römisch-katholischen Kirche in Deutschland, genug Leute, die unser Verhalten als liebedienerisch kritisierten. Die Reagan-Administration verstand dies am wenigsten. Ich dagegen war stolz auf dieses tausendfältige Zeichen der Solidarität mit dem polnischen Volk.
    Der missionarische Eifer der amerikanischen Administration hat es uns nach 1976 schwergemacht, Deutsche in schwieriger Lage aus der Sowjetunion oder anderen osteuropäischen Staaten herauszuholen. Das ging in aller Regel nur leise; sobald öffentlicher Druck eine Prestigeangelegenheit daraus machte, hatten es die Gutwilligen auf der anderen Seite schwer, sich gegen Widersacher durchzusetzen. Insgesamt haben wir in meiner Amtszeit unter verschiedenen Kriterien, darunter denjenigen der Familienzusammenführung, 424.000 Personen aus den östlich gelegenen Staaten in die Bundesrepublik holen können, viele von ihnen aus Gefängnissen.
    Für Breschnew war dieser Punkt generell keine Prinzipienfrage; es konnte aber immer dann eine werden, wenn er vom Westen durch weltweite Kampagnen oder durch das Jackson Amendment zugunsten der Auswanderungserlaubnis für jüdische Sowjetbürger unter öffentlichen oder gar ultimativen Druck gesetzt wurde. Deshalb habe ich in manchen Einzelfällen den Rat gegeben,
die

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