Menschenfänger
zurückkehrte, hatte dieser noch ein paar neue Informationen für ihn.
»Einige der Maden hatten Zeit, sich zu verpuppen und zu schlüpfen. Damit wird auch eine Liegezeit von circa zwei Wochen bestätigt. Das ist so die durchschnittliche Zeit, die die meisten Arten für die Metamorphose benötigen. Der Entomologe kann das noch genauer eingrenzen, wenn er die jeweilige Art bestimmt hat. Der Körper war zwar von den Tierchen benagt, aber hier haben sie es schwerer gehabt einzudringen. Nur an den Körperöffnungen ist ihnen das gelungen. Durch die trockene Luft und die anhaltende Wärme der letzten Wochen ist der Körper teilweise ausgetrocknet, sehen Sie, hier an den Fingern, am Kopf und hier, an den Zehen. Der Bauchraum ist deutlich in Verwesung übergegangen, die Gase hatten ihn aufgetrieben. Durch die beginnende Zersetzung wurde es für die Maden einfacher, in die Körperhöhlen zu gelangen. An den Rippen finden sich weder Kratzspuren durch Verletzung mit einem Messer noch Hinweise auf eine Kugel, die entlanggeschrammt sein könnte. Es ist natürlich schwierig, bei einer Leiche in diesem Zustand die Todesursache sicher zu bestimmen. Nach Lage der Dinge würde ich von einer Vergiftung ausgehen. Das toxikologische Gutachten wird uns da weiterhelfen. Am ehesten mit Barbituraten – Schlafmitteln also. Die werden nicht gerne verschrieben, weil die Möglichkeit einer Überdosierung besteht, sei es nun fahrlässig oder absichtlich – ist Ihnen irgendetwas über eine Erkrankung des Opfers bekannt?«
»Depression«, stieß Nachtigall knapp hervor und schwankte bedenklich.
»Tja, der Anblick des Todes ist nicht schön. Wir werden alle diesen Weg gehen, muss ich Ihnen sagen.«
»Nein«, widersprach Nachtigall mit schwacher Stimme. »Ich lasse mich einäschern!«
»Gute Idee!«, lachte Dr. Pankratz gutmütig und bot dem Ermittler einen Stuhl an.
»Gehts wieder?«, fragte er dann nicht wirklich besorgt.
»Ja.«
»Es ist keine Schande, wenn man sich bei so einem Anblick erbrechen muss«, tröstete der Rechtsmediziner, und Nachtigall kam sich albern vor. »Ich weiß ja, dass Sie immer ein bisschen hysterisch auf den Tod Ihrer Mitmenschen reagieren.«
»Und das ist gut so!«, hinter dem Taschentuch bekam Nachtigalls Stimme einen dumpfen Klang. »Da kann ich mich in Opfer und Täter besser einfühlen – es beflügelt das Denken!«, rechtfertigte er sein Empathievermögen zum wiederholten Mal. Jedermann schien zu glauben, es sei ganz normal, wenn Menschen um ihn herum starben oder ermordet wurden! Unglaublich! Diese Tode, mit denen er es zu tun hatte, waren nicht natürlicher Schlusspunkt eines erfüllten Lebens – sie waren gewaltsam herbeigeführt. Egal, ob von eigener oder von fremder Hand, hatten sie etwas zutiefst Ungerechtes und Tragisches.
»Regen Sie sich jetzt nicht auch noch auf«, mahnte Dr. Pankratz. »Das wäre Gift für Ihren Magen, ob leer oder nicht. Apropos Gift – ich denke also an eine Überdosis Schlafmittel. Sie wurde im Flur gefunden? Na gut, dann hat sie es wohl nicht mehr bis in ihr Bett geschafft. Manchmal dauert es überraschend lange, bis die Wirkung einsetzt, aber dann erfolgt sie imperativ. Die Blutanalyse habe ich schon veranlasst, sobald ich neue Ergebnisse habe, melde ich mich.«
Peter Nachtigall nickte ergeben.
»Ach – ich werde eine Röntgenaufnahme der Zähne und des Kiefers in Auftrag geben. Wenn Sie ihren Zahnarzt kennen, geht damit die Identifizierung ganz schnell, wenn nicht, können Sie immerhin mit den Bildern nach ihm suchen.«
Wieder nickte der Hauptkommissar, Frau Beyer würde sicher den Namen des Zahnarztes ihrer Tochter kennen, dann verabschiedete er sich hastig und floh in die Kälte des Morgens.
11
Der Raum war überfüllt und die Stimmen verdichteten sich zu einem brodelnden Raunen.
Peter Nachtigall hielt sich im Hintergrund und schwieg. Ein Spaziergang hatte seinen Kopf wieder klar werden lassen, und ein Pfefferminzbonbon bekämpfte den schalen Geschmack in seinem Mund, der sich trotz einer Tasse Kaffee und eines belegten Brötchens aus der Bäckerei hartnäckig gehalten hatte. Vor ihm hatten Vertreter der Polizei und der JVA hinter Mikrofonen Platz genommen und stellten sich nun den Fragen der Presse. So voll hatte Nachtigall diesen Raum noch selten erlebt. Dr. März, ein stattlicher Staatsanwalt Mitte 40 mit raspelkurzen grauen Haaren, fühlte sich sichtlich unwohl. Nachtigall beobachtete, wie er sich mehrfach mit der flachen Hand über den Kopf strich und an
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