Menschenfänger
seinen Jackettärmeln zupfte.
Ein Mörder lief frei in der Stadt herum und eine Mitarbeiterin der JVA war tot in ihrer Wohnung aufgefunden worden. Natürlich spekulierte die Presse sensationslüstern auf einen direkten Zusammenhang zwischen diesen Ereignissen.
Peter Nachtigall wusste, sie würden alle enttäuscht an ihre Schreibtische zurückkehren: Es gab einfach noch nicht genug Informationen über die genauen Todesumstände der Frau Knabe und es war noch immer nicht geklärt, wie Windisch hatte entkommen können. Nicht einmal die Echtheit des Abschiedsbriefes aus dem Schlafzimmer von Frau Knabe war bisher bestätigt. Er seufzte.
Eine Fliege summte durch den Raum, und Nachtigall merkte, wie die Übelkeit wieder anflutete. Nun ist es aber gut, rief er sich zur Ordnung, du kannst schließlich nicht bei jeder Fliege so reagieren. Die hier ist sicher ganz woanders geschlüpft! Und ihm fiel ein, dass Tante Erna den Fliegen immer Namen gegeben hatte, wenn Sabine, seine kleine Schwester, anfing zu schreien, weil eine um sie herumflog. Mimmi und Emma waren von da an regelmäßig zu Gast im Kinderzimmer der Geschwister. Männer, dachte Nachtigall plötzlich, Männer kamen dabei nie vor, es gab nur Frauennamen. Er unterdrückte ein Grinsen. Tante Erna mochte wohl keine Männer, nicht mal als Fliegen.
Eine harte Stimme holte ihn in die Realität zurück.
»Wie konnte es passieren, dass dieser gefährliche Mann eine Chance zur Flucht erhielt?«, fragte jemand aus der Tiefe des Raumes.
»Das wissen wir noch nicht. Wir stellen Ihnen im Anschluss an diese Pressekonferenz neuere Fotos des Entflohenen zur Verfügung, damit Sie die Bevölkerung besser vor ihm warnen können. Er sieht völlig harmlos aus – darauf sind seine Opfer damals reingefallen. Wir untersuchen noch, wie es ihm gelungen ist, an Kleidung und andere Utensilien zu kommen. Wir arbeiten mit Hochdruck an der Aufklärung der näheren Umstände dieser spektakulären Flucht, davon können Sie ausgehen«, antwortete der Leiter der JVA unglücklich.
»Gibt es denn keine Bänder der Videoüberwachung? Darauf müsste er doch zu sehen sein!«
»Leider konnten wir bei der Auswertung des Materials nichts Auffälliges entdecken. Wir müssen davon ausgehen, dass er genau über die ›blinden Flecken‹ der Anlage informiert war. Eine Person des Wachpersonals geht über den Gang, hält den Kopf gesenkt. In der nächsten Sequenz durchquert ein Herr im Anzug den Flur und verlässt das Gebäude. Die Kamera konnte auch hier sein Gesicht nicht erfassen. Wo er sich umgezogen hat, ist nicht auszumachen.«
»Als die JVA vor den Toren der Stadt gebaut wurde, hieß es, es bestehe keinerlei Gefährdung für die Menschen in ihrer Umgebung. Und nun?«, fauchte eine Frauenstimme zornig.
»Ja, Sie haben recht mit Ihrem Ärger. Wir finden heraus, wie es ihm gelungen ist zu fliehen, und stopfen das Loch!«
»Soll das heißen, wenn jetzt noch andere Häftlinge zufällig ›das Loch‹ finden, können sie auch entkommen?«, kreischte die Stimme zurück.
Der Leiter der Justizvollzugsanstalt fuhr sich genervt durch die wirren Haare und schüttelte den Kopf.
»Nein. Es ist nicht wie ein Loch im Zaun. Niemand wird mehr entkommen, wir haben die Kontrollen noch einmal verschärft.«
»Haben Sie wenigstens eine Ahnung, wohin Windisch geflohen sein könnte?«, schaltete sich die lokale Presse ein.
»Nein. Ehrlicherweise muss ich das so beantworten: Klaus Windisch könnte tatsächlich überall sein«, beantwortete ein Vertreter der Polizei diese Frage. Nachtigall warf Dr. März einen raschen Seitenblick zu und sah, wie der Staatsanwalt unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutschte.
»Aber diese Frau, die tot in ihrer Wohnung gefunden wurde, die hat doch beim Wachpersonal gearbeitet, oder?«
»Ja, das ist korrekt«, bestätigte der Leiter der JVA.
»Vielleicht hat sie ja mit seinem Ausbruch etwas zu tun! Die Polizei geht doch hier von einem Suizid aus, nicht wahr?«
Hier mischte sich nun Dr. März in die Runde ein.
»Bitte – keine voreiligen Schlüsse! Die Tote ist noch immer nicht zweifelsfrei identifiziert. Zurzeit handelt es sich um eine unbekannte Tote, die in der Wohnung einer Beamtin gefunden wurde, die bei der JVA arbeitet.«
»Uns wurde zugetragen, die Polizei habe einen Abschiedsbrief gefunden. Damit wäre doch dann wohl alles klar, oder sehe ich das falsch?«, hakte der Reporter eines überregionalen Blattes nach.
Woher zum Teufel hatten die nur schon wieder all diese
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