Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Menschenfänger

Menschenfänger

Titel: Menschenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Steinhauer
Vom Netzwerk:
tröstend über Nachtigalls breiten Rücken. »Beziehungsprobleme?«
    »Verlassen, geschieden, depressiv. Die Mutter meinte, ihre Tochter sei tot besser dran!«, erklärte er mit neu entflammtem Zorn.
    »Hm. Wie traurig. Hat sie denn keine Therapie gemacht?«
    »Doch, schon. Aber angeblich alles ohne Erfolg.« Der Hauptkommissar seufzte.
    Peter Nachtigall fasste Conny an beiden Schultern und drehte sie so, dass sie ihm direkt ins Gesicht sah.
    »Die Maden – sie war bedeckt von ihnen. Eine Identifizierung war nicht mehr möglich. Es war schrecklich!«
    Sie lehnte ihre Stirn gegen seinen eindrucksvollen Brustkorb. »Weißt du, Peter, zu mir kommen manchmal Patienten, die haben Maden in ihren offenen Wunden. Sie haben Schmerzen, ziehen ihre Stiefel in der Praxis aus und zeigen mir tiefe, offene Stellen, in denen es nur so von den Viechern wimmelt. Das ist mir nicht fremd. Außerdem sind sie auch nützlich. Wir setzen sie in der Medizin ganz gezielt ein, damit sie genau das tun, was sie am besten können: totes Gewebe fressen. Sie sind eine ›Wunderwaffe‹, zum Beispiel bei nekrotischen Wunden von Diabetikern.« Ihre Stimme klang dumpf zu ihm auf, und er begann, ihren Rücken und Nacken zu kosen.
    »Uh. Ich würde, glaube ich, nicht mögen, dass man mir irgendwo Maden hinsetzt.« Nachtigall schüttelte sich.
    Dann wandten sie sich angenehmeren Themen zu.
    Zwei Stunden später streichelten Connys Hände zärtlich über seinen nackten Oberkörper. Träge kuschelte sie sich näher an ihn und küsste ihn liebevoll.
    »Morgen früh muss ich zu diesem Kongress nach Bern«, nuschelte sie. »Eigentlich möchte ich jetzt nur ungern nach Hause fahren. Würde es dir was ausmachen …«, sie gähnte herzzerreißend.
    »Nein!«, versicherte Nachtigall, glücklich, die ganze Nacht mit ihr verbringen zu dürfen. »Es ist wunderbar, wenn du bleibst. Wenn es nach mir geht, ruhig für immer«, flüsterte er und drückte seine Lippen auf ihre Stirn.
    Doch Conny antwortete nicht. Ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig. Vielleicht war sie schon eingeschlafen und hatte den letzten Teil seines Satzes gar nicht mehr gehört.

10
    Dienstag
     
    Dr. Pankratz lud Peter Nachtigall bereits am frühen Morgen ein, an der Obduktion von Evelyn Knabe teilzunehmen. Frierend, weil die plötzliche Kälte ihn überraschte, an die er nicht hatte glauben wollen, war der Hauptkommissar in die Pathologie gefahren.
    Wie immer hatte sich der hagere Rechtsmediziner nicht lange mit Begrüßungsformalitäten aufgehalten, schnell Nachtigall mit Schutzkleidung versorgt und mit der Obduktion begonnen.
    »Zunächst müssen wir alle Maden und anderen Larven asservieren«, erklärte er und sammelte mit einer Pinzette alles Leben von dem toten Körper. »Die werde ich an einen Entomologen schicken, den ich vom Studium her kenne. Er findet mit Begeisterung heraus, wie alt die Maden sind und wer hier seine Eier abgelegt hat. Das wird uns vielleicht helfen, den Todeszeitpunkt genauer zu bestimmen.«
    »Wir wissen schon, dass sie seit vorletztem Montag nicht mehr gesehen wurde. Aber offensichtlich hat das niemanden bekümmert. Keiner hat sich um sie gesorgt, obwohl tagelang die Fenster offen standen. Es hat sogar in die Wohnung reingeregnet! Erst als das Madengewimmel auf den Flur quoll, haben die Leute den Hauswart geholt.«
    Er hielt sich ein Taschentuch vor Nase und Mund, um nicht allzu viel des Verwesungsgeruchs einatmen zu müssen. Die Lüftung brummte auf Hochtouren, aber sie schaffte es nicht, diesen typischen ›Duft des Todes‹, wie Dr. Pankratz es euphemistisch nannte, aus dem Saal zu filtern.
    Der hohe Raum wirkte kalt. Mehrere Edelstahltische standen darin, blitzende Schalen, Gefäße und seltsam anmutende Gerätschaften standen auf Edelstahltischen. Dr. Pankratz hatte sein gefährlich aussehendes ›Besteck‹ auf einem Tablett zurechtgelegt, von dem er als erstes eine lange Pinzette genommen hatte. Nachtigall wusste nur zu genau, dass er auch alle anderen Instrumente noch verwenden würde, um dem Geheimnis um Evelyn Knabes Tod auf die Spur zu kommen.
    »Also, dieser Körper liegt seit ungefähr 14 Tagen. Die Maden haben ganze Arbeit geleistet.«
    Nachtigall warf einen Blick auf das Gesicht der Frau und Würgereiz erfasste ihn. Eilig stürmte er aus dem Saal.
    Die Lippen der Toten waren komplett abgenagt, die Nase skelettiert und die Augen … Er erbrach sich heftig.
    Als er viel später grünlich-blass und mit zitternden Knien wieder zu Dr. Pankratz

Weitere Kostenlose Bücher