Menschenfänger
Größe un G’wichtsklasse. Ich denk, es gibt eigentlich keinen Zweifel.«
Peter Nachtigall schmunzelte leicht. Der badische Dialekt des jungen Kollegen, den er nur bei den Besprechungen auslebte, war ihm angenehm. All die schrecklichen Dinge, die er aussprach, wurden dadurch ein bisschen weniger schlimm.
»Wir haben die Mutter nicht zur Identifizierung gebeten. Sie würde ihre Tochter wohl auch nicht erkennen können«, meinte Albrecht Skorubski.
»Was haben denn die Nachbarn so über sie ausgesagt?«
»Nur eine hat g’wusst, dass sie in der JVA g’arbeitet hat. Die andere ware bass erstaunt, als sie des g’hört habe. Aber ansonsten habe sie kaum was sage könne. Sie war wohl sehr schweigsam, hatte nie Zeit für ein bisschen Tratsch im Treppehaus un hat sich nie an den Kaffeekränzle beteiligt.«
»Haben die Kollegen noch nach dem Tagebuch gesucht?«
»Ja – aber nichts g’funde. Der Brief ist in der Akte, steht ja eh nur das Übliche drin. Die Kollege habe aber einen Schlüssel zu einem Bankschließfach g’funde und in einem Ordner auch den ausgefüllten Antrag auf ein Schließfach bei der SEB am Schlosskirchplatz. Bleibt noch was für morgen.«
»Die Mutter ging sofort von einer Selbsttötung aus. Evelyn Knabe war depressiv und seit Jahren in Therapie. Wir nehmen also an, dass sie die Tote ist und wir auch keinen Mörder fangen müssen. Wo ist der Brief?«
Michael Wiener reichte ihm die Kopie des kurzen Textes hinüber. Das Original wurde noch auf Fingerspuren untersucht.
WER AUCH IMMER DIESEN BRIEF FINDET, SOLLTE WISSEN UND WEITERGEBEN, DASS ICH AUS FREIEN STÜCKEN MEIN LEBEN BEENDET HABE. MEINER MUTTER ZUR BERUHIGUNG: ES IST DER RICHTIGE SCHRITT UND HAT MIT DIR REIN GAR NICHTS ZU TUN. EINE LAST WIRD VON MIR ABFALLEN UND MEINE SCHULD GESÜHNT.
EVELYN
»Irgendwie habe ich das Gefühl, sie wollte mit diesen dürren Zeilen etwas sagen und es zugleich verschweigen«, murmelte Nachtigall. »Hoffentlich finden wir ihre Tagebücher doch noch, damit wir wenigstens ein bisschen Licht ins Dunkel bringen können.«
»Ich werde gleich morgen bei Alba anrufen, die sollen auf dem Mülltrennband nach Handschriftlichem Ausschau halten«, kündigte Albrecht Skorubski an.
»Gut, Schluss für heute.« Damit schickte Peter Nachtigall sein Team in den Feierabend.
»Ist schon ein merkwürdiger Zufall, dass sie an dem Tag gefunden wird, an dem Klaus Windisch flieht. Gleich zwei Fälle, die mit der JVA in Zusammenhang stehen«, dachte er laut, als ihn schon keiner mehr hörte.
Gerade als er gehen wollte, entdeckte er den pinkfarbenen Zettel, der an seinem Telefon klebte: Morgen früh Pressekonferenz zur Flucht aus der JVA. Teilnahme erforderlich! Unterschrieben war die kurze Notiz von Dr. März, dem Staatsanwalt, mit dem Nachtigall schon einige Fälle gemeinsam bearbeitet hatte.
»Verdammter Shit!«, fluchte er. »Warum eigentlich immer ich?«
»Na, hast du einen neuen Fall?« Conny küsste ihn zur Begrüßung leidenschaftlich.
Dann führte sie ihn in die Küche. Kerzen brannten und leise Musik erfüllte das ganze Haus.
Dankbar dafür, mit diesem traurigen Todesfall nicht allein sein zu müssen, drückte er Conny fest an sich und vergrub sein Gesicht an ihrer Schulter.
»Hmmm. Du duftest gut«, murmelte er dabei, »und du verfügst über seherische Fähigkeiten. Mein Gott – ich habe mich unsterblich in eine Hexe verliebt!«
»Tut mir wirklich leid, aber diese vielleicht für dich prickelnde Hoffnung kann ich dir nicht erfüllen. Du warst nicht beim Sport – also gibt es einen neuen Fall.«
»Wie schade! Weder Zauberei noch Hexenkunst – nur nackte, weibliche Logik!«, beschwerte sich Nachtigall und lachte leise.
Casanova beobachtete die Situation mit kritischem Blick. Nach einem guten Essen sah das nun wirklich nicht aus. Unzufrieden drehte er dem Paar den Rücken zu und verschwand beleidigt ins Wohnzimmer, um den besten Platz auf der Couch schon einmal für sich zu reservieren.
»Wir haben eine Frau gefunden, die wohl an Einsamkeit gestorben ist. Niemand hat sie auch nur vermisst. Bei der Befragung gaben die anderen Mieter an, sie hätten sie schon seit ungefähr zwei Wochen nicht mehr gesehen. Sieht aus wie ein Suizid.«
»Wie alt war sie denn?«
»Mitte 30. Sie war eher der ruhige Typ, weißt du, blieb nicht gern zum Tratschen stehen, erzählte nicht viel über sich, ging den anderen Hausbewohnern gern aus dem Weg. Eine Vollzugsbeamtin aus der JVA.«
»Tragisch.« Conny strich
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