Menschenfänger
Gesellschaft. Das kann ich kaum glauben!«
»Dann glaubs nicht – aber vielleicht kommst du doch vorbei und lässt dich von deiner kleinen Schwester verwöhnen.«
Peter Nachtigall genoss die Gesellschaft seiner Schwester immer sehr, und so schwer es ihm auch fiel – der aktuelle Fall musste bearbeitet werden. Er warf einen raschen Blick auf die Akte und die Tagebücher, die er heute noch lesen musste.
»Sabine, ich hab das Auto voller Arbeit.«
»Bring sie mit. Ich koch uns was Schönes.«
»Nein – es tut mir leid. Morgen?«
»Du willst mich nur vertrösten. Sag mal, Tante Erna hat seit Neuestem Nasenbluten. Ich habe doch recht, wenn ich will, dass sie deswegen zum Arzt geht, oder? Sie ist auch so müde in letzter Zeit – vielleicht ist das Blutbild ja nicht in Ordnung oder der Blutdruck ist zu hoch.«
»Ja – wenn sie nicht freiwillig geht, wird sie von der Polizei zwangsvorgeführt! Sag ihr das!«, lachte er gutmütig. Tante Erna zu etwas zu bewegen, was sie nicht selbst wollte, war schwierig und erforderte weniger polizeiliches als diplomatisches Geschick. Im Alter von 85, meinte sie, sei sie aus dem Gröbsten raus und müsse sich nicht mehr vorschreiben lassen, was gut für sie sei und was nicht.
»Gib sie mir mal!«
»Peterchen?« Die Stimme der alten Dame war hoch und schwankend.
»Na, du hast Nasenbluten?«
»Ja, das habe ich manchmal. Sag deiner Schwester, das ist kein Grund zur Beunruhigung. Alte Menschen haben komische Sachen. Da können so junge Spunde wie ihr nicht mitreden.«
»Mit Nasenbluten geht man zum Arzt. Der junge Spund genauso wie die alte Tante! Oder hast du dich wieder heimlich rumgeprügelt und den Kürzeren gezogen?«
»Nein, das Catchen habe ich vor Kurzem aufgegeben. Hat mir mein Arzt verboten.« Sie kicherte vergnügt.
»Dann wirst du morgen mit Sabine zum Arzt gehen? Sie macht sich wirklich Sorgen, und das muss doch nicht sein.«
Tante Erna schwieg – Nachtigall kam es trotzig vor, und er lächelte.
»Na gut. Aber nur, wenn du herkommst. Erpressung funktioniert in diesem Fall auch andersherum.«
Er sah sie vor sich, wie sie die Unterlippe etwas vorschob, ihren beleidigten Blick aufsetzte, und gab sich geschlagen.
»Heute klappt es nicht – aber morgen. Wenn du beim Arzt warst. Ich komme am Abend vorbei und hole mir die Diagnose ab!«, drohte er und Tante Erna lachte gluckernd, dann meinte sie in versöhnlichem Ton: »Arbeite nicht zu viel.«
»Peter?«, meldete sich seine Schwester erneut.
»Wir haben alles besprochen, Sabine. Sie geht mit zum Arzt und ich komme morgen Abend. Soll ich Jule fragen, ob sie die Kinder hütet?«
»Lass mal. Leander ist in der Schule und die Kleine nehme ich mit. Dann kommen wir auch schneller dran.« Nachtigall hörte das Augenzwinkern in ihren Worten. Fröhlich wünschten sie sich gegenseitig eine gute Nacht, und Nachtigall fädelte sich wieder in den Verkehr Richtung Sielow ein.
Beidseits der Straße zogen sich Wohnhäuser entlang, hinter Fenstern brannte Licht. Nachtigall stellte sich vor, wie Familien sich um den Abendbrottisch versammelten oder gemeinsam vor dem Fernseher saßen. Viele Manschen lebten allein – und womöglich hatte gerade jetzt wieder eine Frau unter Klaus Windisch zu leiden und er, Peter Nachtigall, konnte nichts für sie tun. Besorgt tasteten seine Augen über die Fassaden. Das Gefühl bleierner Hilflosigkeit verdüsterte seine Stimmung zusätzlich.
Als er den Wagen vor der Tür abstellte, bereute er seine Standhaftigkeit Sabine gegenüber längst.
Kein Licht hieß ihn willkommen, niemand begrüßte ihn mit einem liebevollen Kuss, als er die Tür öffnete. Einzig Casanova drückte sich an seine Beine und quengelte drängend.
»Na, mein Dicker, Hunger?«
Der Kater des Hauses warf ihm einen strengen Blick zu. Nachtigall strich ihm entschuldigend über den mächtigen Katerkopf. Wahrscheinlich konnte er es nicht ausstehen, Dicker genannt zu werden, überlegte er reumütig, ihm würde das schließlich auch nicht gefallen.
Sie betraten die Küche Seite an Seite, und Nachtigall öffnete den Kühlschrank.
»Hm, berauschend ist das Angebot hier nicht. Mal sehen, ob es für dich besser aussieht.«
Und der Kater hatte Glück. Katzenfutter war in großer Auswahl vorhanden.
»Typisch, für dich ist gesorgt. Fisch?«
Der Hauptkommissar öffnete eine Dose und füllte die Hälfte des Inhalts in Casanovas Schälchen. Mit Feuereifer machte der Kater sich darüber her.
»Ich werde mir Salat machen – und eine
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