Menschenfänger
Bereitwillig schoben sich Bilder mit den Erinnerungen an den absoluten Höhepunkt in sein Bewusstsein. Die Idee mit dem Bauchnabelmesser begeisterte ihn noch immer.
Es gab eben doch etwas, was er konnte! Gerne hätte er seinen Triumph herausgeschrien: Seht her, ich weiß, wie es geht! Und ich tue es immer wieder! Aber er war sich darüber im Klaren, dass sie diese Art von Beweis nicht gutgeheißen hätten. Dabei waren die ersten so etwas wie ein Geschenk gewesen. Sie hatten es schon damals nicht verstanden, und nun war es für Erklärungen zu spät. Egal, dachte er, eigentlich war es auch genug, wenn er allein auf sich stolz sein konnte, und dazu hatte er jeden Grund!
Bis zu dem unbewohnten Haus an der Bahnlinie, dort, wo die Hermann-Löns-Straße endete, war es nicht mehr weit. Es lag direkt an der Ecke zur Bautzener Straße, aber hier fuhren nur eilige Arbeitnehmer vorbei, die dem Gebäude sicher keine Aufmerksamkeit schenken würden. Baden würde er in der Spree. Er hatte eine von Efeu weitgehend überrankte Scheibe im Erdgeschoss eingeschlagen und war so in das Gebäude gelangt. Auf Fernsehen würde er verzichten müssen, aber sein Kino im Kopf war ohnehin für die Fernsehmacher qualitativ unerreichbar. Das kleine Radio würde genügen, um ihn über die Aktivitäten der Polizei auf dem Laufenden zu halten, und eine Zeitung hatte er auch gekauft. Obwohl auf Seite eins sein Foto prangte, hatte ihn nicht einer schief angeguckt. Dabei war das Bild gar nicht so schlecht. Er lachte leise vor sich hin. Die Leute genossen das Grauen, aber der Täter interessierte in Wahrheit gar nicht. Es ging ihnen nur um die voyeuristische Betrachtung der Opfer und der Vorstellung ihrer Leiden.
Später saß er auf dem harten, schmutzigen Boden eines Zimmers im ersten Obergeschoss und las im Schein einer Kerze den Artikel über seine Flucht in der ›Lausitzer Rundschau‹. Die hatten wirklich keine Ahnung, wie er das gemacht hatte! Ihre Ratlosigkeit war aus jedem Wort zu lesen und tropfte sogar aus den Leerzeichen! Sie vermuteten eine Verbindung zu Evelyn Knabe – aber selbst das brachte sie nicht weiter. Er grinste hämisch. Von Liebe hatten die wirklich keine Ahnung.
Klaus Windisch glaubte sogar, einen leicht bewundernden Unterton in den Artikeln feststellen zu können. Ja, sie staunten über ihn und seine unglaublichen Fähigkeiten –, was berechtigt war, spekulierten sinnlos über seine weiteren Pläne.
Evelyn war tot.
Hatte sich umgebracht, weil sie ihre Hilfe bereute. Tja, das hätte sie eben vorher überlegen müssen. Sollte sie geglaubt haben, er mache sich nun Vorwürfe, so hatte sie sich jedenfalls getäuscht!
Ein bisschen schade war es schon – nun könnte sie es niemandem mehr erzählen: Dass er all das tun konnte, weil er wusste, wie es geht!
18
Müde machte Peter Nachtigall sich auf den Heimweg.
Die Gespräche mit den Angehörigen der beiden verstorbenen Frauen gingen ihm durch den Kopf. Wie verschieden die Eltern doch auf die schreckliche Nachricht reagierten, die er ihnen überbrachte. Die unterkühlte Frau Beyer, die zugab, eigentlich froh darüber zu sein, dass ihre Tochter das Leben nun überstanden hatte, und die Merkowskis, die völlig verzweifelt waren.
Wie hätte er es ertragen, vom Tod seiner Tochter zu erfahren?
Gar nicht, beantwortete er sich die Frage, er wäre mindestens so schockiert wie Merkowski und hätte vielleicht auch geweint und geschrien!
Seine Gedanken schweiften ab.
Conny war inzwischen in Bern angekommen. Das Zimmer sei schön und sie freue sich schon auf die Gespräche mit den Kollegen. Hauttuberkulose sei eines der Themen. Sie hatte fröhlich und unbeschwert geklungen, gar nicht so, als vermisse sie ihn. Er war ein bisschen enttäuscht, aber auch besorgt. Es wurde Zeit, ihre Beziehung auf eine neue, stabile Basis zu stellen und das Unverbindliche verbindlich werden zu lassen, entschied er. Wenn sie wieder zurück war, würde er noch einmal fragen, ob sie nicht zusammenziehen wollten. Er liebte sie und sie ihn ja auch – da wäre es doch nur natürlich, diese beiden Haushalte zu einem zusammenzufügen. Casanova vertrug sich auch gut mit ihr, von der Seite waren also auch keine Schwierigkeiten zu erwarten.
Sein Handy klingelte, und er parkte am Straßenrand.
»Nachtigall!«
»Hallo, großer Bruder! Conny ist in Bern und du hast doch sicher keine Lust auf einen einsamen Abend. Johannes ist auch nicht zu Hause.«
»Du bist auch allein? Mit zwei Kindern und Tante Erna zur
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