Menschenfänger
Einfühlungsvermögen dieser Klaus Windisch haben muss – er hat mir direkt ins Herz gesehen!
Tagebuch Evelyn Knabe, 14. August
Es ist schon sonderbar, und jetzt, wo ich es aufschreibe, erscheint es mir beinahe unfassbar. Ich habe mich verliebt!
Natürlich darf das niemand wissen – es ist schwierig, eine Beziehung zu einem Häftling zu haben, ohne dass die anderen das spitzkriegen.
Wir sehen uns jeden Tag und ich weiß, dass es ihm so geht wie mir. Wenn uns keiner beobachtet, berührt seine Hand wie zufällig meine. Er hat es sogar schon geschafft, mir über den Rücken zu streicheln. Er tat so, als wolle er meine Jacke abreiben. Er ist wirklich sehr geschickt in diesen Dingen. Ich habe auch schon kleine Zettelchen von ihm in meiner Jacke gefunden – mir ist völlig schleierhaft, wie er schafft, sie dort hineinzuzaubern.
Es macht mich fast wunschlos glücklich!
Diese geheimen Nachrichten sammle ich in einer herzförmigen Pappschachtel auf meinem Nachttisch. Albern! Dabei war ich sicher, nach dieser Enttäuschung mit Gerd würde es für mich nie wieder so einen Gefühlssturm geben.
Und nun?
Nun bin ich schon traurig, wenn ich mal abends kein Zettelchen in meiner Jacke finde. Spätpubertär!
Ich werde in den nächsten Tagen meinen Kontostand genau prüfen und eventuell mit meinem Sachbearbeiter bei der Bank ein ernstes Gespräch führen. Wenn ich es schaffe, das Geld irgendwie aufzutreiben, kann ich einen wirklich guten Anwalt für Klaus engagieren, einen, der sein Handwerk versteht und der den Fall wieder vor Gericht bringen kann. Ein Revisionsverfahren oder ein Wiederaufnahmeverfahren. Dann kann Klaus bestimmt seine Unschuld beweisen und wird freigelassen. Seine Verurteilung kann nur ein schrecklicher Irrtum gewesen sein!
Wenn man das so liest, klingen meine Worte ziemlich verschroben. Aber ist ja auch egal – außer mir wird es ohnehin nie jemand zu Gesicht bekommen.
Tagebuch Evelyn Knabe, 19. August
Heute war ein schöner Tag. Wir fanden eine Möglichkeit, uns ungestört zu unterhalten! Als ich Klaus zu einem Gespräch mit einem Journalisten begleitete, der ein Buch über den ›Fall Windisch‹ schreiben möchte. Klaus erzählte mir, wie ihm von Kind an übel mitgespielt wurde, seine Eltern sich nicht für ihn interessierten. Und dann wurde er auch noch für diese Morde verhaftet, die er gar nicht begangen hatte! Er meinte, der Zuhälter der beiden sei doch wahrscheinlich eher der Täter gewesen. Bestimmt wollte er die beiden loswerden, weil sie nicht mehr genug einbrachten, oder als Warnung für die anderen, so was gibt es ja. Da bot sich eine prima Chance, als ein neuer Kunde sich ansagte. Klaus meinte, er habe den Kerl jedes Mal, wenn er ging, im Hausflur rumschleichen sehen. Der hat doch sicher nur auf eine günstige Gelegenheit gelauert. Vielleicht hatte der perverse Fantasien, die er dann auslebte, in der Hoffnung, die Polizei werde dem Kunden den Mord anlasten. Was ja auch prima geklappt hat.
Diese Version erscheint mir jedenfalls viel logischer – Klaus kann keiner Fliege was zuleide tun.
Es ist direkt rührend, wie er darum bemüht ist, mich nicht in Verruf zu bringen. Er hält unsere Beziehung geheim, schützt mich vor den Aggressionen anderer Häftlinge, und es kommt mir auch so vor, als habe er dafür gesorgt, dass selbst meine Kollegen mich respektvoller behandeln.
Er ist so selbstlos! Ich musste ihn fast zwingen, eine Tube seiner Lieblingshandcreme von mir anzunehmen. Dabei haben die Insassen nicht viel Geld zur Verfügung und die Creme ist teuer. Ich muss doch nur für mich selbst sorgen! Trotzdem hat er sich gleich schon wieder Sorgen um mich gemacht, glaubte, die kleinen Geschenke an ihn könnten mein Budget zu sehr belasten. Dabei hat er mich so kritisch angesehen, als müsse man befürchten, ich könne abmagern. Wegen der paar Mal, bei denen ich ihm frisches Obst oder was zu lesen gekauft habe! Es ist direkt rührend!
Gerd hat sich solche liebevollen Gedanken um mich nie gemacht – wenn es ihm gut ging, hätte er nicht einmal bemerkt, dass ich neben ihm verhungere!
Tagebuch Evelyn Knabe, 25. August
Ich bin unendlich traurig. Es besteht keine realistische Chance auf ein Wiederaufnahmeverfahren!
Klaus hat ›seinen‹ Journalisten auf das Problem angesetzt, und der hat bei seinem Freund, einem bekannten Strafverteidiger, nachgefragt. Und dieser Freund hat abgewunken: In diesem Fall sehe er nicht die geringste Chance auf Erfolg. Da müsste Klaus
Weitere Kostenlose Bücher