Menschenfänger
Hansen kam dem Kern der Dinge offensichtlich näher.
Die beiden schwiegen lange. Es war allerdings nicht die Art Schweigen, die entsteht, wenn eine Phase des Nachdenkens einsetzt.
Es war eindeutig aggressiv.
Ein trotziges Kräftemessen.
Windisch unterlag.
Er war so erfüllt von dem Wunsch, über seine Taten zu sprechen, dass er nicht endlos darauf warten konnte, nach weiteren Einzelheiten gefragt zu werden.
»Ich will keinen Sex. Ich bringe ihnen den Tod!«
»Sperma von Ihnen haben wir dennoch gefunden.«
»Oh ja. Selbstverständlich haben Sie das. Für einen echten Mann gehört zum allumfassenden Triumph auch die Ejakulation dazu. Ist doch logisch. Aber mit einer Toten – nein, das wäre wohl pervers. Nekrophil. Ich machs für mich allein und brauche niemanden sonst dazu. Und außerdem: Ihr solltet wissen, dass ihr es mit mir zu tun habt. Zweifel ausgeschlossen.«
»Deshalb fanden wir auch in der Wohnung der Yasmin Klein das Handy von Mildred Knappe? Als Beweis.«
»Ja. Beweis wäre allerdings nicht das Wort, das ich dafür gewählt hätte.«
»Welches wäre denn Ihr Favorit gewesen?«
»Bekenntnis.«
»Und warum ist das besser?«
»Ich bekenne mich. Ich bin der, der ihnen den Tod bringt.«
»Klingt fast, als glaubten Sie, anbetungswürdig zu sein.«
»Oh, das bin ich vielleicht auch. Und eines können Sie mir glauben, hätten sie gekonnt, die beiden hätten mich gerne angebetet!«
Hansen räusperte sich, begann zu husten.
»Das Handy von Yasmin Klein haben Sie auch an sich genommen.«
»Ja. Selbstverständlich. Ich hätte es ja bei der nächsten als Bekenntnis hinterlassen. Sie verstehen das doch, oder?«
»Demnach waren weitere Morde geplant.«
»Tötungen. Ich bevorzuge das Wort Tötung. Diese Frauen stellen sich Männern gern zur Verfügung. Ich nehme mir nur, was sie bieten, nutze das komplette Angebot. Das ist alles.«
»Für Ihren Sieg über Frauen.«
Windisch heulte gequält auf.
»Ich muss meine zunächst positive Meinung über Sie korrigieren, Herr Hansen. Sie haben, trotz der Ausführlichkeit meines Berichts, nichts, aber auch wirklich gar nichts verstanden!«
»Sie töteten die beiden Frauen mit einem Stich ins Herz.«
»Oh, ja. Ich weiß, wie man das macht! Es ist ein unbeschreibliches Gefühl: Sie knien über der Frau, die Sie permanent im Auge behält, dann richten Sie sich auf, umfassen den Griff mit beiden Händen, so dass die Klinge nach unten zeigt. Sie lassen das Messer einen kurzen Moment über ihrer Brust schweben. Jetzt richten Sie sich hoch auf, heben die Arme noch ein bisschen höher, warten auf den Augenblick, in dem sich all Ihre Energie in den Armen verdichtet – und wenn es so stark wird, dass Sie es nicht mehr aushalten können – dann stechen Sie mit einem Aufschrei zu. Es ist der ultimative Kick!«
Der Täter machte aus seiner Begeisterung keinen Hehl. Seine Stimme war kräftig und spiegelte jeden Triumph, den dieser Mann bisher empfunden hatte. Er fühlte sich als Held.
»Hoffentlich kriege ich dich bald!«, zischte Nachtigall dem Band böse zu und kehrte trostsuchend zu Casanova zurück. Da Conny zu ihrem Kongress gefahren war, erlaubte er ihm sogar ausnahmsweise, am Fußende des Bettes zu schlafen. Vor ihrer Rückkehr würde er alles neu beziehen. Wie selbstverständlich nahm der einfühlsame Kater den eroberten Platz ein und schnurrte tröstend, als merke er, dass Nachtigall das dringend brauchte.
19
Mittwoch
Peter Nachtigall fühlte sich am nächsten Morgen wie erschlagen.
Früher, dachte er etwas wehmütig, hatte ihm eine Nacht mit wenig Schlaf nicht so viel ausgemacht. Damals, als Jule noch jede Nacht bis zu fünf Mal ins elterliche Schlafzimmer schlich, um ihn zu fragen, ob Mama nicht bald wieder nach Hause käme, hatte er sich auch nicht so zerschlagen gefühlt. Aber nun nagte der Zahn der Zeit wohl doch schon heftiger an ihm, als ihm lieb war. Daran konnte wohl auch der regelmäßige Sport nichts ändern.
Er erinnerte sich daran, dass ein Schulfreund vor einigen Jahren alle darüber informierte, von nun an werde keiner seiner Geburtstage mehr gefeiert. Alternativ müsste er nun die kommenden immer als den 35. ausgeben, und das sei auf die Dauer zu auffällig. Er, Bernhard, hoffe, man würde nach einiger Zeit gänzlich vergessen, dass er überhaupt einen Geburtstag habe. Nachtigall hatte ihm damals erklärt, er könne zwar das Feiern einstellen – aber nicht das Altern. Und heute, an Tagen wie diesen, würde er es gerne selbst
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