Menschenfänger
versuchen. Conny war schließlich noch relativ jung. Er musste an sich arbeiten, um neben ihr nicht wie ein alter Mann zu wirken.
Nach dem Frühstück angelte er sein Handy vom Nachttisch und entdeckte eine Kurzmitteilung von Sabine. Tante Ernas Gesundheitszustand gebe ihr zu denken. Sie klage über Übelkeit und Appetitlosigkeit, war ständig schläfrig. Sie mache sich ernste Sorgen.
Nachtigall schrieb ihr zurück, sie möge die Tante zu einem Arztbesuch überreden, er wolle versuchen, am Abend vorbeizukommen, könne allerdings keine festen Zusagen machen.
Als er das Mobiltelefon in die Tasche schob, hatte er ein schlechtes Gewissen.
Schließlich hatte seine kleine Schwester Tante Erna bei sich aufgenommen und kümmerte sich liebevoll um die durchaus schwierige alte Dame. Da konnte er wenigstens mal abends vorbeifahren und nach dem Rechten sehen, nahm er sich dann vor. Im Rausgehen überzeugte er Casanova davon, das Wetter sei durchaus erträglich und für einen Spaziergang wie geschaffen, dann schloss er die Tür hinter ihnen und machte sich auf den Weg ins Büro.
Um diesen Mörder fangen zu können, würden sie die Unterstützung von Suchtrupps und einem erfahrenen Fachmann für operative Fallanalysen brauchen, kreisten seine Gedanken wieder um seinen aktuellen Fall. Er würde das gleich mit Dr. März besprechen. Emile Couvier, der Verlobte von Nachtigalls Tochter Jule, hatte sich schon bei vorangegangenen Fällen als hilfreich erwiesen.
Alle Medien würden in die weiteren Ermittlungen einbezogen werden, selbst wenn das eine große Unruhe in der Stadt bedeutete.
Er seufzte.
Dr. März würde wieder ständig Berichte verlangen, Presseinformationen.
Michael Wiener und Albrecht Skorubski standen vor der Pinnwand und starrten auf die Fotos vom Tatort.
»Guten Morgen!«
»Guten Morgen«, gab Nachtigall zurück.
»Du siehst nicht aus, als hättest du viel Schlaf bekommen«, stellte Skorubski mit einem raschen Seitenblick auf den Freund fest.
»Nein. Ich habe die Tagebucheintragungen gelesen und mir das Tonbandprotokoll der Vernehmung von Windisch durch den Kollegen Hansen angehört. Das reicht für einen ganzen Monat voller Albträume!«
Er fasste die wichtigsten Informationen der Vernehmung zusammen.
»Was soll das heißen: Ich töte, weil ich weiß, wie es geht?«
»Das müssen wir herausfinden. In den Protokollen bleibt er stur bei dieser Formulierung, erklärt sie aber nicht. Wir werden das Stadtgebiet durchkämmen müssen, um ihn zu finden.«
Nachtigall beschloss, zunächst die Kleingartenanlagen um die Stadt von Suchtrupps durchforsten zu lassen. Vielleicht hatte ja in der letzten Nacht unerwartet bei irgendeinem Nachbarn das Licht gebrannt. Windisch würde ein Dach über dem Kopf brauchen. Seit gestern war es eindeutig zu kalt, um unter einer Spreebrücke zu schlafen.
»Albrecht, wir fahren raus zur JVA und nehmen die Zelle noch mal unter die Lupe. Vielleicht hat er ja irgendwelche Aufzeichnungen hinterlassen, die uns weiterhelfen. Ich weiß, das haben die Kollegen schon gemacht – aber ich möchte mir ›sein Zimmer‹ gerne selbst ansehen. Michael, du fragst beim Personal nach. Persönliche Kontakte zu Evelyn Knabe: Wie könnten die abgelaufen sein, warum hat keiner was bemerkt, gab es einen Windisch-Vertrauten unter den Mithäftlingen. Du weißt schon.«
Er legte die Tagebücher auf seinen Schreibtisch.
»Hier steht alles drin. Es ist die unendlich traurige Geschichte einer unglücklichen Frau, die einem manipulativen Mann in die Finger geraten ist. Es reichte ein wenig Aufmerksamkeit, und schon verliebte sie sich in ihn. Sogar von seiner Unschuld konnte er sie überzeugen!«
»Was!«, Albrecht Skorubski war fassungslos. »Es gab doch Beweise in Hülle und Fülle, er hat die Tat ja sogar gestanden! Wie konnte sie da glauben, er sei unschuldig im Gefängnis?«
»Wahrscheinlich hat er ihr eine Lügengeschichte erzählt, und sie war bereit, sie zu glauben. Sogar einen Kredit bei der Bank wollte sie aufnehmen, um ihm einen Anwalt zu finanzieren, der ihn in einem neuen Prozess rausboxt. Hätte ihre Verblendung nicht erst den Tod von Johanna Merkowski möglich gemacht, täte sie mir vielleicht sogar leid. Aber so …«
»Ja. Sag mal, habt ihr heut eigentlich scho in die Lausitzer Rundschau g’guckt?«
Er drehte das Blatt so, dass Nachtigall und Skorubski einen Blick darauf werfen konnten. Michael Wiener hatte einen Leserbrief rot angestrichen.
Ursel Meyer schrieb zum Mord an Johanna M.
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