Menschenfänger
zur Gegensprechanlage.
»Hier ist vrrrkrrrtscht. Ich bringe krschtschtkrr«, hörte sie deutlich und drückte auf den Summer. Wer auch immer ihr da etwas brachte, er musste erst bis in die vierte Etage steigen. Zeit genug, schnell Frisur und Make-up zu überprüfen. Vor dem Flurspiegel zerrte sie die Bluse über dem üppigen Busen zurecht und fuhr mit ihren dicken Fingern ordnend durch die dunklen, dicken Haare. Dann trat sie einen Schritt näher heran, beugte sich vor und inspizierte mit leicht zusammengekniffenen Augen kritisch das Gesicht, um etwaige Spuren verwischter Wimperntusche zu entdecken. Rasch fuhr sie mit angefeuchtetem Zeigefinger unter beiden Augen entlang, da hörte sie auch schon das Schnaufen des Fremden vor der Wohnungstür.
Vielleicht war es genau dieses Geräusch, das sie stutzig werden ließ.
Einem Boten durfte doch das Treppensteigen nicht derart zusetzen, der musste doch eigentlich in gutem Trainingszustand sein. Rasch zog sie ihr Handy aus der Hosentasche und rief ihre Freundin von gegenüber an.
Als der Bote schließlich an der Tür klingelte, waren über eine Telefonkette bereits vier weitere Frauen im Haus in höchste Alarmbereitschaft versetzt und warteten mit Schlagwaffen ausgestattet hinter verschlossenen Türen auf ein Signal.
Isabella Jürgens öffnete zögernd die Wohnungstür nur einen Spalt breit und warf einen prüfenden Blick auf den Mann im Hausflur, der ein kleines Päckchen leicht auf einer Hand balancierte.
»Frau Jürgens?«
»Ja. Und Sie sehen gar nicht wie ein Paketbote aus!«, schrie ihm die kleine, dicke Frau entgegen.
Noch ehe er antworten konnte, wurden schon vier weitere Türen aufgerissen und wütende Frauen stürmten über den Flur und aus dem Treppenhaus auf den Kurier zu. Entschlossen wirbelten sie marmorne Nudelhölzer, Besenstiele und Bratpfannen durch die Luft. Der Bote ließ das Päckchen zu Boden fallen und rannte mit gehetztem Blick los, die zeternden Frauen immer hinterdrein.
»Mörderschwein!«
»Du Lump!«
»Frauenmörder!«, kreischten sie und verfolgten ihn unerbittlich bis auf die Straße hinaus. Ein Streifenwagen, der zufällig gerade in die Straße einbog, nahm die Verfolgung auf, und zwei Beamte stellten den jungen Mann an der nächsten Ecke.
»Er wollte Frau Jürgens ermorden! Aber da hat er sich falsche Hoffnungen gemacht! Wir Frauen können durchaus wehrhaft sein! Gibt es da nicht eine Belohnung?«, bestürmten die fünf den Wachtmeister, als er aus dem Wagen sprang und den Boten ergriff.
»Wir haben ihn durchs Treppenhaus gejagt, und als er dann geflohen ist, da haben wir ja gewusst, dass er der Mörder ist!«
»Genau – das ist dieser Klaus Windisch! Zum Glück konnten wir einen weiteren Mord verhindern!«, keiften die mutigen Verfolgerinnen durcheinander und klopften dabei Isabella immer wieder tröstend auf die Schulter.
Oberwachtmeister Beil sorgte mit einer raumgreifenden Bewegung für Ruhe und legte dem Verdächtigen erst einmal Handschellen an, was von den Damen durch lautes Hallo und Klatschen kommentiert wurde.
»Ey – lassen Sie das! Ich bin Philipp Müller!«
»Oh, was für ein origineller Name!«, höhnten die Damen und warfen dem stattlichen Oberwachtmeister bewundernde Blicke zu.
»Ich bin ein Fahrradkurier!«, behauptete der extrem schlanke Mann und ruckte mit den Schultern, um auf seinen Rucksack aufmerksam zu machen.
»So ein Ding kann sich schließlich jeder kaufen«, beschied ihm der Oberwachtmeister. »Das reicht nicht als Beweis! Ein Ausweis wäre da eher hilfreich!«
Zu seinem Kollegen gewandt fragte er: »Haben wir nicht ein Foto von diesem Windisch?«
»Klar, hier!«, antwortete der andere und reichte ihm das Bild.
Nachdenklich beäugte er den Überwältigten und versuchte, Ähnlichkeiten zwischen ihm und dem gesuchten Frauenmörder zu entdecken.
»Hmm. Mit ein bisschen Fantasie …«, murmelte er dann und wies seinen Kollegen an, den Kurier mitzunehmen.
»Das können Sie nicht machen! Ich verliere meinen Job!«, heulte der Bote nun los. »Mann – ich habe lauter termingebundene Lieferungen! Rufen Sie doch bei meiner Firma an! Die kennen doch alle Adressen, die ich anfahren soll. Das ist nur ein großes Missverständnis! Ich heiße wirklich Philip Müller.«
»Ausweis?«, wurde er zackig gefragt.
»In meiner Hosentasche.«
Es kostete Oberwachtmeister Beil ziemlich Mühe, die Brieftasche mit dem Personaldokument aus der engen Gesäßtasche zu befreien, aber dann fand er darin tatsächlich
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