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Menschenfänger

Menschenfänger

Titel: Menschenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Steinhauer
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würden Sie das anstellen?«
    »Oh, das ist nicht so unmöglich, wie es scheint. Bei der Zellendurchsuchung etwas zurückzulassen ist nur eine Frage der Übung. Kleine Dinge gehen sowieso immer – da merken auch die Kollegen nichts davon. Man lässt was fallen und der Insasse hebt es auf – zusammen mit dem, was sie ihm zukommen lassen wollten. Noch einfacher ist es, ihm unter falschem Namen ein Päckchen zu schicken. Drogen werden dabei allerdings meist entdeckt.«
    »Und wie ist Windisch an die Uniform gekommen – und an den Anzug, den Koffer?«
    »Das ist schon was für Fortgeschrittene.« Die Dunkelhaarige lachte glucksend. »Am einfachsten über die Wäscherei. Da konnte der Windisch Einzelteile peu à peu unter anderen Wäschestücken versteckt rausschmuggeln. Er war ja nie auffällig, und bei ihm wurde bestimmt nicht immer so ganz supergründlich kontrolliert, nicht wahr?« Sie feixte in die Runde und erntete Protestgemurmel. »Egal. Vielleicht hat Evelyn es ihm in die Zelle gebracht, getarnt als gecheckte Post, oder so. Auf jeden Fall ist es nicht mit einem Mal gegangen – das müssen die beiden von langer Hand vorbereitet haben.«
    »Ja«, stimmte ein anderer Kollege zu, »und es hat nur geklappt, weil der Windisch genau wusste, wie er von einem in den anderen Bereich kommen konnte, ohne aufzufallen. Einen Kollegen, der das Haus verlässt, wird man genauer ansehen, weil man ihm ja einen schönen Feierabend wünscht. Da wäre ein fremdes Gesicht aufgefallen. Aber wenn ein Anwalt den Besucherbereich verlässt, wundert sich niemand darüber, dass er das Gesicht nicht kennt.«
    »Na gut. Aber es war ein hohes Risiko. Es hätte ja nur der Kollege an der Tür noch mal nach dem Ausweis fragen können – oder ob er die abgegebenen Sachen nicht mitnehmen will. Schon hätte der Windisch ihn angucken müssen und der ganze Plan wäre gescheitert.«
    »Sicher. Aber es hat geklappt und er ist raus«, antwortete Michael Wiener trocken.
    Betreten schwiegen die Kollegen der Evelyn Knabe. Es stimmte schon – irgendwie waren alle ein wenig nachlässig gewesen, das Kontrollsystem aus Menschen und Überwachungstechnik hatte versagt.
     
     
    »Tja – man weiß nicht, ob sich alles anders entwickelt hätte, wenn Frau Knabe unter ihren Kollegen jemanden gefunden hätte, der sich mit ihr anfreunden wollte. Wer kann das sagen?«, warf Michael Wiener in die Runde.
    Das dichte Schweigen härtete zu einer Wand aus. In diese brütende Stille hinein sagte plötzlich eine männliche Stimme klar und deutlich: »Die Evelyn hatte Angst vor Menschen. Ich glaube, deshalb hat sie auch im Vollzug gearbeitet. Hier muss man nur das Notwendigste sagen, und die Leute kann man einfach wegschließen.«
    »Angst vor Menschen?«, hakte Wiener nach.
    »Ja.« Der Sprecher entpuppte sich als der älteste Teilnehmer der Runde. Er hatte ein völlig faltiges Gesicht, und sein grauer Haaransatz hatte sich schon weit in Richtung Nacken verschoben. Hinter einer runden Nickelbrille sahen kluge Augen den jungen Ermittler direkt an.
    »Ich bin nun schon fast in Rente und habe viele von den jungen Kollegen kommen und manche auch wieder gehen sehen. Evelyn bewegte sich durchs Leben wie jemand, der ständig Angst vor Entdeckung hat. Früher hätte man denken können, sie plant vielleicht ihre Republikflucht in die BRD – aber das ist ja nun heute alles anders. Wenn man sie ansprach, zuckte sie jedes Mal heftig zusammen, dann hat sie immer verlegen und seltsam schuldbewusst auf den Boden gesehen. Wenn wir nicht alle gut ›durchleuchtet‹ wären, hätte man glauben können, sie hatte ein Verbrechen zu verbergen. ›Eine Leiche im Keller‹, wie der Volksmund sagt.«
    »Na, in der letzten Zeit hatte sie das doch auch! Die hat mit dem Windisch gemeinsam seine Flucht geplant.«
     
    Peter Nachtigall erfuhr in der Zwischenzeit, dass Klaus Windisch regelmäßig Post von einer Hildegard Clemens bekam, wohnhaft in der Sibeliusstraße in Schmellwitz am Anger.
     

22
    Albrecht Skorubski fuhr auf der Bundesstraße nach Cottbus zurück.
    Über den Stadtring führte sie der Weg am Nordfriedhof vorbei zügig zum Anger. Dort kuschelten sich kleine Häuschen in schmucken Gärten, mit kleinen Teichen und lauschigen Eckchen für einen gemütlichen Plausch. Leider führte die Wendeschleife der Straßenbahn dicht an ihnen vorbei, und Nachtigall fragte sich, ob er sich an das Quietschen in der Kurve würde gewöhnen können, wenn er hier wohnte.
    »Meinst du, man hört das

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