Menschenfänger
einen Ausweis auf den Namen Philip Müller, wohnhaft am Fontaneplatz, mit passendem Lichtbild.
»So was kann man fälschen!«, gifteten die Damen, die nicht wahrhaben wollten, dass sie ihren Mut an den Falschen verschwendet hatten.
Um die letzten Zweifel der beherzten Verfolgerinnen zu zerstreuen, rief der Oberwachtmeister bei Postexpress an und ließ sich die Route von Philip Müller bestätigen.
Zum Abschluss notierte er sich die Namen und Adresse des Kuriers sowie der Zeuginnen, und der Spuk war vorbei.
Philip Müller durfte zu seinem Rad zurückkehren, während Oberwachtmeister Beil ausdrücklich die noch immer aufgeregten Damen für ihre geistesgegenwärtige Hilfeleistung lobte.
Als diese sich, ruhiger geworden, auf den Heimweg machten – Isabella nahmen sie dabei vorsorglich in ihre Mitte, weil man ja nie wissen konnte – sagte eine kräftige Stimme entschieden: »Immerhin haben wir uns nicht einschüchtern lassen, unerschrocken einen Mörder in die Flucht geschlagen und Isabella das Leben gerettet!«
Und alle fünf Körper strafften sich.
21
Ihre Schritte hallten auf dem Flur der JVA, als sie mit Jonas Mainzer auf dem Weg zu Klaus Windischs Zelle waren. Peter Nachtigall fühlte sich unbehaglich, verfolgt von zornigen Blicken, doch immer, wenn er sich umsah, war niemand zu sehen.
»Im Moment ist der Trakt hier weitgehend leer. Unsere Insassen gehen um diese Zeit ihren Tätigkeiten nach. Einige arbeiten zum Beispiel in der Wäscherei, dort, wo auch Windisch eingesetzt war.«
»Haben Sie Evelyn Knabe gekannt?«
»Tja, wie man sich halt so kennt, wenn man den gleichen Job macht.«
»Sie wissen, dass sie sich das Leben genommen hat?«
Jonas Mainzer nickte bekümmert.
»Ja. Tragisch. Aber die Arbeit hier ist eben nichts für schwache Gemüter. Man muss sich durchsetzen können, blitzschnell Entscheidungen treffen und stets eine deutliche Distanz wahren – das ist nicht immer einfach.«
»Und Frau Knabe konnte das nicht?«
»Wenn der Windisch jetzt da draußen rumläuft und mordet – und das auf ihre Kappe geht – dann konnte sie das wohl nicht«, gab der junge Mann unerwartet heftig zurück.
»Okay, damit haben Sie sicher recht«, räumte Nachtigall bereitwillig ein.
»Sehen Sie«, meinte Mainzer versöhnlicher, »manche hier suchen jemanden, dem sie ihre Geschichte anvertrauen können. Ist ja auch irgendwo in Ordnung – nicht in Ordnung ist, wenn sie anfangen, das Personal auszuhorchen. Manche sind da sehr geschickt. Dabei schrecken sie auch vor faustdicken Lügen nicht zurück. Wenn sie zum Beispiel herausfinden wollen, ob du verheiratet bist und Kinder hast, dann erzählen sie dir möglicherweise von Briefen, die sie von ihrer Frau bekommen haben. Sie droht mit Trennung, die Kinder werden mit der ganzen Situation nicht fertig und haben wieder angefangen einzunässen, werden in Schule oder Kindergarten von den anderen gehänselt oder gemieden. Da ist die Versuchung groß zu sagen: Das verstehe ich gut, mein 13-jähriger Sohn käme mit so etwas auch nicht zurecht. Und schon ist es passiert. Es gibt Strafgefangene, die betreiben das Aushorchen direkt als Sport. Manche handeln gar mit den gewonnenen Informationen. Der Schritt zur Erpressbarkeit ist da manchmal nur noch ein kleiner.«
Jonas Mainzer reckte selbstbewusst sein langes Kinn in die Höhe. Der schlaksige junge Mann demonstrierte seine Überlegenheit mit solcher Arroganz, dass Nachtigall aggressiv antwortete:
»Das können Sie vielleicht nicht verstehen – aber es gibt auch auf Ihrer Seite der Tür Menschen, die einsam sind und sich nach freundlichem Kontakt sehnen. Denen unterläuft auch schon Mal ein Fehler bei der Auswahl ihres Gesprächspartners, besonders dann, wenn ihnen sonst niemand zuhören mag!«
Der junge Mann zuckte nicht einmal zusammen. Kühl kommentierte er: »Es gibt Leute, die haben nichts Interessantes mitzuteilen. Keinen Mann, keine Kinder, keine Hobbys, nicht einmal ein Haustier. Nur Alltag – keine Freunde. Verhuscht und völlig frei von jeglicher eigenen Meinung. Unsicher und stets auf der Hut vor den Kollegen – so war Evelyn Knabe!«
Jonas Mainzer war stehen geblieben und öffnete eine Zellentür.
Der Raum war schlauchartig auf das Fenster ausgerichtet.
Ein Schrank, ein Bett, ein Stuhl, eine Toilette und ein Waschtisch, an der Wand ein Regalbrett.
Die gesamte Zelle duftete leicht, wie parfümiert. Nachtigall schnupperte.
»Oh – der Geruch kommt von seiner Seife. Er konnte den
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