Menschenfänger
grauen Ritzen zurückzukriechen, und machte immer mehr Platz für Wohlbefinden.
Franka Lehmann griff nach der Fernbedienung und regelte die Lautstärke der Fernsehmoderatorin auf ein angenehmes Hintergrundgeflüster herunter. Sie griff nach dem historischen Roman auf dem Beistelltisch und beschloss, die restlichen Seiten in einem Rutsch zu lesen, damit sie nun endlich das Ende der Liebesbeziehung zwischen dem Grafen und der Herzogin erfahren würde.
Irritiert tauchte sie aus dem finsteren Intrigenspiel des Adels wieder in der Realität auf, als es klingelte.
Franka Lehmann warf einen missbilligenden Blick auf die Uhr und fragte sich, wer sie wohl kurz vor den Abendnachrichten stören wollte. Mit einem mürrischen Grunzen erhob sie sich widerwillig und sah durch den Türspion auf den Gang hinaus. Vielleicht war es ihre Freundin Marnie, die noch auf einen Sprung vorbeikommen wollte.
Draußen stand der freundliche Lehrersohn von vorhin!
Freudig überrascht öffnete sie.
»Tut mir schon wieder leid – ich weiß, dass man sich nach einem anstrengenden Tag nach Ruhe und Entspannung sehnt«, er lächelte schuldbewusst, »aber ich kenne niemanden hier, den ich fragen könnte.«
»Na – dann fragen Sie mich Mal«, ermunterte sie ihn, inzwischen neugierig geworden.
»Es ist so: Meine Schwester wohnt über Ihnen. Sie hat mich gebeten, ihr ein paar Bücher mitzubringen, wenn ich das nächste mal nach Cottbus komme. Und nun bin ich da, aber sie ist nicht zu Hause. Dummerweise muss ich noch weiter nach Leipzig, und danach habe ich einige Termine in der Schweiz. Und, ehrlich gesagt, habe ich keine Lust, die Bücher durch die halbe Welt zu kutschieren.«
»Aha – Sie suchen ein Bücherasyl.« Ihre gute Laune hatte nun endgültig die Oberhand gewonnen.
»Ja – wenn das möglich wäre?« Er legte den Kopf leicht schief und sah sie abwartend an.
Franka Lehmann nickte.
»Die Kiste ist bei mir im Auto. Es wäre wohl endgültig zu unverschämt, Sie bitten zu wollen, mir beim Tragen zu helfen?«
»Ich?« Sie fuhr mit beiden Händen an ihrem schmalen Körper entlang. »Sehe ich etwa so aus, als wäre ich ein tauglicher Bücherkistenträger?«
»Oh, die Kiste ist nicht wirklich schwer. Für einen allein nur zu unhandlich!«, versicherte er eilig.
»Na, gut. Probieren wirs. Ich ziehe nur schnell Schuhe und Jacke an.«
Während sie sich anzog, ließ sie die Tür geöffnet, weil sie ihm nicht das Gefühl geben wollte, ausgesperrt zu werden. Fröhlich summend band sie sich die Schuhe zu.
Er wartete höflich auf dem Gang, ging sogar ein paar Schritte zur Seite, damit sie sich weder gedrängt noch beobachtet fühlte. Dann führte er sie zu dem in der Nähe abgestellten Wagen.
Franka Lehmann fröstelte.
»Schon dunkel – wenn der Sommer erst einmal vorbei ist, kommt die frühe Nacht schon innerhalb weniger Wochen. Wenn die Straßenlaternen nicht wären, müsste man sich jetzt schon blind durch die Straßen tasten.«
»Das wäre wirklich schlecht. Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob ich mein Auto durch Tasten identifizieren könnte! Es ist nichts Besonderes dran: vier Räder, vier Türen, zwei Außenspiegel, festes Dach. Oh je, ich glaube, wir würden wohl an allen Autos den Schlüssel probieren müssen.«
»Und dabei eine leuchtend laute Spur hinterlassen! Jeder zweite Wagen gibt ja heute Alarm«, kicherte sie albern. Das kam wohl von diesem Liebesroman, dachte sie amüsiert. Der war vielleicht entspannender gewesen, als sie gedacht hatte.
Er blieb neben einem schwarzen BMW stehen und wies auf den Rücksitz.
»Da! Sehen Sie. Die Kiste ist schmal und lang.«
»Na dann! Probieren wir, wie weit wir damit kommen!«
Er öffnete die Fondtür.
»Die Innenbeleuchtung ist leider defekt.«
»Lassen Sie mich reinkriechen. Ich bin schmaler als Sie. Dann schiebe ich Ihnen die Kiste zu.«
Damit war der freundliche Fremdling sehr einverstanden.
Der gut dosierte Schlag deckte sie mit Dunkelheit zu, und eine Decke verbarg ihren Körper vor eventuellen Blicken neugieriger Nachbarn.
Wieder hatte Klaus Windisch sein Ziel erreicht.
31
»Michael Wiener!«
»Hier ist Marnie. Du weißt doch, dass ich heute noch bei Franka vorbeischauen wollte. Sie war ja in letzter Zeit so unter Druck und irgendwie deprimiert. Aber sie ist gar nicht zu Hause!«
»Wart ihr denn fest verabredet?«
»Was heißt schon fest? Ich hatte ihr gesagt, ich käme heute im Laufe des Abends vorbei, und sie meinte, ich bräuchte mich nicht festzulegen, sie sei
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