Menschenfresser - Gargoyle - Posters Haus
Seine Hände steckten in schwarzen Handschuhen, und trotzdem schob er sie nun in die Manteltaschen.
„So viel Dankbarkeit findet man selten“, sagte er. „Sie gefallen mir. Ich glaube fast, ich habe noch ein bisschen mehr für Sie.“
„Mehr?“ Die Zunge leckte über die aufgerissenen Lippen. Fettige Haare wurden aus dem Gesicht gestrichen.
„Ein Geschenk. Etwas, das Sie gewiss gebrauchen können.“ Der Mann sah kurz über seine Schulter und zog die Stirn kraus. „Wissen Sie, eigentlich sollte es ein Geschenk für jemand anderes sein. Aber wie die Jugend eben heute so ist – undankbar und impertinent –, da denke ich mir, überlasse ich es lieber jemandem, der es zu schätzen weiß.“
„Was genau … ist es denn?“
Der Fremde nickte hinter sich, eine unbestimmte Geste. „Es liegt in meinem Wagen. Wollen Sie es sich ansehen?“
„Na-… natürlich!“
Der Vornehme ging los, blieb nach ein paar Schritten stehen und sah nach, ob der andere ihm folgte. Dieser kam, ein wenig schwankend und sich mit einer Hand an der Wand abstützend. Seine Schnapsnase schimmerte rot in der Dämmerung, seine tränenden Augen blitzten.
Sie bogen einmal ab, überquerten eine Straße, und schon waren sie da. Die spärlichen Passanten sahen ihnen nach. Ein älterer Straßenarbeiter sprach den Hageren an, vergewisserte sich, ob der Tippelbruder ihn nicht belästigte. „Danke“, lautete die lakonische Antwort. „Ich habe alles unter Kontrolle.“
Der Mann öffnete als erstes die Fond-Tür des stattlichen dunklen Wagens und streckte seinen Arm einladend aus. „Bitte, nehmen Sie einen Moment Platz! Sie sind etwas wackelig auf den Beinen.“
„Nein, das … das geht schon.“ Während er dies sagte, setzte der Zerlumpte sich dennoch auf den Rücksitz des Wagens. Es war sehr geräumig. Selbst in seinem Zustand fiel es ihm nicht schwer, seine Gliedmaßen im Inneren des Autos zu verstauen. „Mann, die Kutsche ist ’ne Wucht, ich meine, ein schö-… schönes Vehikel haben Sie da, Meister.“
Der Fremde blickte sich um. Er hatte an einer schwer einsehbaren Stelle geparkt, und sie waren ganz alleine. „Es ist Zeit für das Geschenk“, ließ er sich vernehmen, und seine Stimme klang jetzt dumpfer als zuvor. Der Obdachlose sah auf.
Der Fremde hatte plötzlich ein Tuch vor dem Mund. Daher die veränderte Stimme. Auf den Stadtstreicher kam ein seltsam riechendes weißes Ding zu, legte sich auf sein Gesicht. Seine Arme ruckten hoch, doch seine Hände rutschen an dem Mantel seines Gegenübers ab, hatten schon keine Kraft mehr, um sich festzuhalten. Ehe er irgendetwas begriff, versank sein Bewusstsein vollkommen in dem mit Chloroform getränkten Wattebausch.
2
Manchmal tuschelten die Leute, Holger sei ein Trinker. Dass das nicht stimmte, wusste Karen am besten – schließlich war sie seine Frau.
Richtig war, dass er sich hin und wieder wie einer benahm. Es war seine innere Unausgeglichenheit … und sein Minderwertigkeitsgefühl. Wenn die Dinge so liefen, wie er es sich vorstellte, konnte er der liebevollste Ehemann und Vater der Welt sein. Karen hatte dieses spezielle Leuchten, das er in den Augen hatte, wenn er seinen Sohn umarmte, noch nie bei anderen Vätern gesehen. Auch die anderen liebten ihre Sprösslinge, waren stolz auf sie und hingen an ihnen, aber Holger konnte zu einem Bündel aus reiner, ungetrübter Glückseligkeit werden, wenn er Seb an sich drückte. Die Freude auf seinem Gesicht war vielleicht kindlicher und unverfälschter, als ein Kind sie jemals empfinden konnte.
Aber wenn die Dinge schief liefen, verwandelte er sich in ein Monstrum aus Nervosität, Zweifeln und Aggressionen. Aus heiterem Himmel konnte er Gegenstände zerschlagen, die ihr sehr viel bedeuteten. Und wenn er noch mehr durcheinander kam, dann zertrümmerte er Zeug, das ihm selbst sehr wertvoll war. Das war die übliche Reihenfolge – zuerst quälte er seine Frau, dann sich selbst. Karen wünschte sich, es wäre umgekehrt gewesen. Sein Brüllen und Toben ließ sich ertragen, solange es sich gegen sie richtete, denn sie wusste, dass er sie bei aller Wut niemals schlagen würde. Doch wenn die außer Kontrolle geratenen Emotionen in Selbsthass umzuschlagen begannen, musste sie um sein Leben fürchten. Einmal hatte er mit der rechten Hand den Ringfinger seiner linken gepackt und so weit nach hinten gedrückt, bis er brach. Es war der furchtbarste Augenblick in ihrem Leben gewesen.
Oft reichten schon die geringsten Anlässe.
An diesem
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