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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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Fische im Netz bewegen sich. Es sind viele Fische, und sie leben. Aber der Mann liegt da und ist tot. Verstehst du? Die Fische leben, obwohl sie im Boot sind, aber er ist tot.«
    Elin saugte noch etwas Wein auf und zog eine schmerzverzerrte Grimasse. Vielleicht spannte es in einer ihrer Wunden.
    »Das ist das Bild, die ganze Zeit. Und ich denke, dass ich mich eigentlich daran gewöhnen müsste, aber jedes Mal, wenn es auftaucht … im Traum bekomme ich immer wieder aufs Neue Angst. Ich nähere mich dem Boot, und dann sehe ich diesen Mann, der zwischen den toten Fischen liegt, und danach ist es, als würde ich kaputtgehen, denn ich bekomme wahnsinnige Angst.«
    Der letzte Rest im Glas wurde in Elins Mund gesaugt. Sie bekam den Wein in den falschen Hals und begann zu husten. Sie hustete und hustete und machte nur eine Pause, um vor Schmerz zu wimmern, woraufhin sie erneut hustete, bis Anders fürchtete, sie würde sich übergeben. Doch der Husten ließ nach, und Elin keuchte eine Weile, rang nach Luft. Tränen liefen entlang der Schnitte ihre Wangen herab.
    Anders interessierte sich nicht sonderlich für Elins Träume. Er trank einen Schluck Wein und schloss die Augen, sah das schemenhafte Bild von Henriks und Björns Körpern im Mondschein vor sich, das hässliche Lächeln, das auf Elins damals so vollen Lippen gelegen hatte.
    Das verschwindet nicht. Nichts verschwindet.
    Er öffnete die Augen und sah Elin an, die zusammengekauert dasaß und zu Boden starrte.
    »Du hast gesagt, dass sie verschwunden sind. Dass Henrik und Björn nicht ertrunken sind. Wie hast du das gemeint?«
    »Sie wurden niemals gefunden.«
    »Aber sie sind doch im Eis eingebrochen.«
    Elin schüttelte den Kopf. »Da habe ich was anderes gehört.«
    »Und was hast du gehört?«
    In Elins Augen trat derselbe Ausdruck wie vor zwanzig Minuten, als sie zum Haus gekommen waren und Elin den Eisclown mit seinem Plastiksack erblickt hatte. Sie hatte weglaufen wollen, aber Anders hatte sie aufgehalten. Jetzt hatte sie den gleichen Gesichtsausdruck. Wie ein Tier, das umzingelt ist und nirgendwohin fliehen kann. Die einzige Lösung war, zu implodieren, in sich selbst zu verschwinden.
    »Sie waren es, Anders. Sie hatten diesen verdammten Plastikkerl auf der Ladefläche, und sie waren … nicht älter, verstehst du? Sie waren wie … wie damals, als das alles passiert ist. Sie sind nicht älter geworden.«
    Anders lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Was ist damals eigentlich wirklich passiert?«
    Elin kniff die Lippen zusammen, blies die Backen auf und sah ihn mit einem flehenden Gesichtsausdruck an, der früher eventuell Wirkung gezeigt hätte, jetzt aber vor allem ekelerregend aussah. Sie wickelte den Gummischlauch um den Zeigefinger, ließ die Schultern sinken und sagte: »Joel sitzt im Gefängnis, wusstest du das?« Anders antwortete nicht, und sie fuhr fort: »Es ging um eine Frau … er hat sie um ein Haar totgeschlagen. Ich weiß nicht, warum. Sie hatte ihm eigentlich gar nichts getan.«
    Sie schluchzte auf und zog den Gummischlauch fester um den Finger. Die Fingerspitze wurde dunkelrot wie die Haut in ihrem Gesicht, und sie sagte zur Tischplatte hinab: »Ich weiß es nicht. Ich weiß nichts. Ich war anscheinend böse. Kann man böse sein?«
    Anders zuckte mit den Schultern, atmete tief ein und ließ die Luft entweichen. Etwas von der Schwere, die in seinem Bauch gelegen hatte, gab nach. Er stand auf und holte einen neuen Tetrapakkarton mit Wein. »Willst du noch was?«
    Sie nickte und wickelte den Schlauch ab. Sie tranken beziehungsweise saugten schweigend. Nach einer Weile fragte Anders: »Was hast du über sie gehört?«
    Ein paar Tropfen Wein liefen aus Elins Mundwinkel, und sie wischte ihn vorsichtig ab und sagte: »Nur, dass sie mit ihrem Bock aufs Eis hinausgefahren sind. Und dann waren sie weg.«
    »Wie bitte, sie sind nicht im Eis eingebrochen?«
    »Nein.«
    »Kein Eisloch, nichts … dass es gebrochen war, dass sie …?«
    »Nein. Sie sind einfach verschwunden.«
    Anders presste die geballte Faust so fest gegen seine Lippen, dass der Mund nach Metall schmeckte, stand auf und wankte in der Küche auf und ab. Elins Augen folgten ihm, sie saugte noch etwas Wein auf und fragte: »Was ist los?«
    Anders schüttelte den Kopf, um klarzustellen, dass er nicht reden wollte, schnappte sich die Zigarettenschachtel und rauchte gierig eine Zigarette, während er auf und ab trabte, in den Flur, ins Wohnzimmer.
    Was kann ich tun? Was soll ich

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