Menschenhafen
ihn zu sehen. Nur mit Slip und BH bekleidet war ihr Körper unförmig, aufgedunsen, und als das Licht ihr Gesicht aufblitzen ließ, fürchtete er sich plötzlich und kauerte sich wie vor einem Schlag zusammen.
Das Monster will mich holen.
Aber sie ging achtlos an ihm vorbei, und der Schrecken ebbte ab. Elin öffnete schlafwandlerisch die Tür und verließ das Zimmer. Anders zögerte einige Sekunden und stand dann auf, zog sein Hemd an und folgte ihr.
Er schlich durch die Küche in den Flur, aber statt zur Toilette abzubiegen, ging sie auf die Haustür zu. Als sie das Schloss drehte, um die Tür aufzuschließen, trat er zu ihr.
»Elin, was tust du da?«, fragte er ihren Rücken, ohne dass sie reagierte. »Du kannst so nicht rausgehen.«
Das Schloss klickte, und sie drückte die Klinke herab. Er packte sie an der Schulter. »Wo willst du denn hin?« Sie erstarrte in seinem Griff und antwortete ihm, ohne sich umzudrehen: »Heim. Ich will heim.«
Als die Tür geöffnet wurde und kalte Luft über seine bloßen Füße zog, packte er ihre Schulter fester und drehte sie zu sich um. »Das kannst du nicht. Du hast kein Haus mehr.« Er packte auch ihre andere Schulter und schüttelte sie. Ihr Blick war abwesend.
»Hörst du«, sagte er. »Du gehst nirgendwohin.«
Elin sah ihn aus leeren Augen an. Ihre Lippen bewegten sich zuckend, als würde sie lautlos was, was, was sagen. Dann schüttelte sie sachte den Kopf und wiederholte: »Ich werde nirgendwohin gehen.«
»Nein. Komm.«
Er zog sie in den Flur zurück, machte die Tür zu und schloss ab. Sie ließ sich zum Bett zurückführen, wo sie auf der Stelle einschlief. Anders hatte für die Schlafzimmertür keinen Schlüssel, weshalb er einen Stuhl unter die Klinke klemmte und hoffte, dass er es hören würde, wenn sie noch einmal das Haus zu verlassen versuchte.
Und wenn sie es doch tut? Ich bin nicht verantwortlich für sie.
Er legte sich wieder in Majas Bett und spürte erstaunt, dass ihm sein Körper zu verstehen gab, er konnte jetzt Schlaf finden, wenn er wollte. Und er wollte. Er schloss die Augen und glitt schon bald auf einer sanft abfallenden Fläche in die Ruhe hinunter. Sein letzter Gedanke vor dem Einschlafen war: Als hätte ich nicht auch so schon genug.
Nach dem Brand
Nichts als rußschwarzes Gebälk und grauer Morast blieben übrig, als die Feuerwehr ihre Arbeit getan hatte. Hunderte Kubikmeter Meereswasser waren auf und um das brennende Haus gepumpt worden, und obwohl noch an einzelnen Punkten Rauch aus den Trümmern aufstieg, bestand keine Feuergefahr mehr, dazu war die unmittelbare Umgebung zu nass.
Viele waren nach Hause gegangen, aber Simon stand noch immer im beißenden Aschegeruch, betrachtete die Ruine und meditierte über die Vergänglichkeit aller Dinge.
Man hat ein Haus. Dann hat man kein Haus mehr.
Ein einziges kleines Streichholz oder auch nur ein Funken an der falschen Stelle. Mehr war nicht nötig, damit sich der Ort, durch den man mit seinen Füßen gegangen war, den man gehegt und gepflegt und hinter sich abgeschlossen hatte, in Rauch auflöste. Ein unbedachtes Wort oder ein flüchtiger Blick auf etwas, das man eigentlich nicht sehen sollte, und das Lebensgewebe, das man für selbstverständlich hielt, wurde aufgetrennt und zerfiel vor den eigenen Augen in Fetzen.
Der Boden wird einem unter den Füßen weggezogen.
Man sah es förmlich vor sich: der längliche Flickenteppich, auf dem man ging, aber was war das für eine Gestalt am hinteren Ende? War es ein Teufel oder ein Engel? Oder nur ein kleiner, alter Mann in einem grauen Anzug, ein langweiliger Typ, der auf seine Chance gewartet hatte? Jedenfalls hielt er das Ende des Teppichs in den Händen. Und er hatte Geduld, viel Geduld. Er konnte warten.
Aber wenn du das Gleichgewicht verlorst und für zu leicht befunden wurdest, ja, dann zog er mit einem Ruck. Ein wahres Zauberkunststück war es, wenn deine Füße vom Untergrund gerissen wurden und du für einen sehr kurzen Moment in der Horizontalen schwebtest, die Zehenspitzen auf einer Linie mit der Nase. Unmittelbar darauf hieß dich der Erdboden krachend willkommen, und das tat weh.
Simon vergrub die Hände in den Hosentaschen und ging zu den Überresten des Hauses. Es platschte unter seinen Füßen, der Aschegeruch war erstickend. Er hatte keine besondere Beziehung zu dem niedergebrannten Haus, hatte es niemals betreten. Trotzdem war ihm, als hätte es etwas zu bedeuten.
Er hatte einen verwirrenden Tag hinter sich und reagierte
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