Menschenhafen
aufgeschnappt hatte: »Ich bin ein Alki, und du bist hässlich. Ich kann mit dem Trinken aufhören.«
Es wurde still, und das war Anders ganz recht. Er goss sich eine Tasse Kaffee ein und sah auf die Uhr. Es war nach elf. Er hatte länger geschlafen als sonst. Trotz Elins nächtlichem Fluchtversuch hatte ihre Anwesenheit dem Zimmer anscheinend eine gewisse Geborgenheit gegeben, die ihm erlaubt hatte, Schlaf zu finden.
Er trank noch ein paar Schluck Kaffee und schielte zu ihr hinüber. Die Kopfschmerzen ließen ein wenig nach, und er bekam ein schlechtes Gewissen, als er sah, wie sie ein Käsebrot in kleine Brocken brach, um es sich in den Mund stecken zu können. Er wollte etwas sagen, aber treffende boshafte Bemerkungen gab es in Hülle und Fülle, Worte, mit denen man die Dinge wieder ins Lot bringen konnte, waren dagegen seltener.
Er trank den letzten Schluck Kaffee und wollte ihr ebenfalls eine Tasse eingießen, als ihm einfiel, dass sie etwas, das so heiß war, wahrscheinlich nicht trinken konnte. Sie hatte den Kaffee nur für ihn gekocht. Er stellte seine Tasse auf die Spüle und sagte: »Danke für den Kaffee. Das war nett von dir.«
Elin nickte und trank vorsichtig einen Schluck Saft aus ihrem Glas. Da sie dazu keinen Strohhalm benutzen musste, waren ihre Wunden anscheinend ein wenig verheilt. Sie war wie er selbst sechsunddreißig Jahre alt, sah allmählich jedoch aus wie eine sechzigjährige Frau, die ein schlechtes Leben hinter sich hatte.
»Ich geh mal nach der Post gucken«, sagte Anders.
Er hastete aus der Küche, zog den Helly-Hansen-Pullover an und floh vor der schmerzenden Verlassenheit, die wie ein Nebel um Elin hing.
Vor der Eingangstreppe stand in seinen Plastiksack gehüllt der Eisclown. Er konnte nicht fassen, dass ihn die Figur so in Angst und Schrecken versetzt hatte. Er hob sie an und trug sie zum Hackklotz, wo er so fest gegen sie trat, dass sie umfiel.
»Jetzt bist du nicht mehr so cool, was?«, sagte er zu der liegenden Reklamefigur, die nichts zu ihrer Verteidigung vorzubringen hatte.
Die Luft war klar und kalt, die Dämonen der Nacht lösten sich auf. Er betrachtete zufrieden den gut gefüllten Brennholzschuppen, schob die Hände in die Taschen und ging zum Dorf. Es kam ihm vor, als pendele er zwischen zwei Gemütsverfassungen. Einer halbwegs vernünftigen, in der er Holz hacken und klare Gedanken fassen konnte und auf dem Weg der Besserung war. Und eine andere, seine Nachtseite, die auf dem besten Weg war, sich in einer labyrinthischen Finsternis aus Angst und Wahnvorstellungen zu verlieren, und geradewegs in den Abgrund zu führen schien.
Es ist wenigstens ein Kampf , dachte er. In der Stadt gab es nur Apathie.
Ja, so wollte er es jetzt sehen, während er sich mit seinen schwieligen Arbeitshänden dem Lebensmittelladen näherte, die Sonnenstrahlen ab und zu die Wolkendecke durchdrangen und das Meer glitzern ließen und er sich im Licht des neuen Tags befand. Nachts würde wahrscheinlich alles anders aussehen.
Er öffnete den alten Briefkasten, den er von Simon bekommen hatte, und erwartete, wie üblich nichts vorzufinden, aber heute lag ein gelber Umschlag im Briefkasten. Der Film. Die entwickelten Bilder.
Er wog den Umschlag in der Hand. Er war dünner und leichter, als sie üblicherweise waren, weil er damals nur wenige Fotos geknipst hatte, ehe das Fotografieren für immer ein Ende gefunden hatte. In diesem Umschlag waren sie also. Die letzten Bilder. Er zerrte an einer Ecke des Umschlags und schaute sich um. Es war kein Mensch in der Nähe. Er riss das Kuvert auf.
Er wollte nicht nach Hause gehen, weil dort Elin war, er wollte in diesem Moment seine Ruhe haben. Er setzte sich auf die Treppe zum Lebensmittelladen und zog das kleinere Konvolut aus dem Umschlag, wog auch dieses in der Hand. Wie viele Bilder mochten es sein? Zehn? Elf? Er erinnerte sich nicht. Er holte tief Luft und fischte behutsam den kleinen Stapel Fotografien heraus.
Meine Geliebten …
Zunächst ein paar schlechte Bilder von Smäcket , aber dann waren sie da, auf dem Weg zum Leuchtturm. Maja in ihrem roten Schneeanzug, die sich durch den Schnee kämpfte, Cecilia kurz dahinter, trotz des schwierigen Untergrunds mit geradem Rücken. Hier standen sie vor dem Leuchtturm, nebeneinander mit roten Wangen. Cecilias Hand auf Majas Schulter, Maja, die zog und wie üblich irgendwohin wollte.
Mehrere Fotos von den beiden vor dem Leuchtturm, die zwei Menschen, die ihm von allen in der Welt am meisten bedeutet
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