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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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bei ihr nie zuvor gesehen. Andererseits hatte er auch noch nie gesagt oder auch nur angedeutet, dass er sich von ihr trennen wollte.
    Er winkte vor ihrem Gesicht. »Komm jetzt. Ich helfe dir.«
    Anna-Greta zog die Nase hoch, atmete ein wenig ruhiger und entspannte sich. Ihre Atemzüge waren lang, aber keuchend, und sie blieb einen Moment schweigend liegen. Dann fragte sie: »Willst du mit mir zusammen sein?«
    Simon schloss die Augen und rieb sie sich. Dieser ganze Auftritt war lächerlich. Sie waren erwachsene Menschen, mehr als erwachsen. Es war schon unglaublich, dass sich trotzdem einmal alles um sich selbst drehen und zur einfachsten und ursprünglichsten aller Fragen führen konnte, die eigentlich schon seit Jahrzehnten geklärt sein müsste.
    Aber sie ist eben nicht geklärt. Vielleicht wird sie das nie werden.
    »Ja«, sagte er. »Ja, das will ich. Aber jetzt komm. Du wirst dir den Tod holen, wenn du da liegen bleibst.«
    Sie griff nach seiner Hand, richtete sich jedoch nicht auf, sondern ließ nur ihre Hand in seiner liegen und zog mit den Fingerspitzen über seine Handfläche. »Ehrlich?«
    Simon lächelte und schüttelte den Kopf. Während einiger Sekunden machte er einen Rundgang durch das Zimmerlabyrinth in seinem Herzen und fand nirgendwo die Empfindung, die ihm gesagt hatte, dass er sie verlassen sollte, sie nie mehr sehen wollte. Das Gefühl war verschwunden, als hätte es niemals existiert.
    Nichts zu machen. Die Sache ist gelaufen.
    »Ja, ehrlich«, sagte er und half ihr auf die Füße. Anna-Greta schmiegte sich in seine Arme, und sie blieben so lange stehen und umarmten sich, bis der Lichtkegel der Taschenlampe bereits von Weiß zu Gelb verblasste, als sie einander losließen. Es war vorbei.
    Für dieses Mal , dachte Simon. Sie gingen Hand in Hand und suchten im Schein der verblassenden Taschenlampe den Weg nach Hause. Beide waren von den ungewohnten Gefühlsstürmen erschöpft, und ihre Herzen schmerzten dumpf wie von einem Muskelkater. Sie hielten sich an den Händen, und das reichte ihnen als Gespräch, aber als sie aus dem Wald gekommen waren, sagte Simon: »Ich will es wissen.«
    Anna-Greta drückte seine Hand.
    »Ich werde erzählen.«
    Als sie zu Anna-Gretas Haus zurückgekehrt waren, saßen sie eine ganze Weile ermattet auf der Couch und sammelten sich. Sie wirkten schüchtern, und es fiel ihnen schwer, sich in die Augen zu sehen. Wenn sich ihre Blicke begegneten, lächelten sie sich zögernd an.
    Wie Teenager , dachte Simon. Teenager auf Mamas und Papas Couch.
    Vielleicht benahmen sich Teenager heutzutage nicht mehr so, aber um der Analogie vollends zu entsprechen, stand Simon auf und holte eine Flasche Wein aus der Küche. Um lockerer zu werden und die Zunge zu lösen und … zur Sache zu kommen.
    Allerdings nicht auf die Art, nein danke. Das war dann doch …
    Den Korkenzieher halb im Korken versenkt hielt er inne. Waren drei Tage vergangen, seit er und Anna-Greta sich zuletzt geliebt hatten? Es kam ihm wesentlich länger vor, aber auch wenn sie sich wie Jugendliche benahmen, hieß dies noch lange nicht, dass der Körper mitspielte.
    Der Korken wollte nicht herauskommen. Simon zog, so fest er konnte, und spürte, dass es trotzdem nicht besonders fest war.
    Wie gesagt …
    Er brachte Anna-Greta die Flasche, die aufstand, sich die Flasche zwischen die Schenkel klemmte und es schaffte, den Korken herauszuziehen. Als wollte sie Simon entschuldigen, sagte sie: »Er saß ganz schön fest.«
    Simon ließ sich auf die Couch fallen. »Stimmt.«
    Anna-Greta schenkte ein, und sie tranken jeder einen Schluck, ließen den Wein über die Zunge rollen und schluck ten. Der herbe, ungewohnte Geschmack blieb auf der Zunge haften, und Simon ließ einen wonnigen Seufzer hören. Mittlerweile trank er nur noch selten Wein. Er sah Anna-Greta auffordernd an, die ihr Glas abstellte und die Hände in den Schoß legte.
    »Wo soll ich anfangen?«
    »Fang mit meiner Frage an. Warum sind die Leute nicht weggezogen, warum ziehen die Leute nicht weg? Und was sollte das eben heißen, du hättest mir nichts gesagt, weil es besser so für mich gewesen wäre? Warum hat keiner …«
    Anna-Greta hob die Hand, um ihn zu bremsen. Sie griff erneut nach ihrem Glas, trank einen winzigen Schluck und strich anschließend mit dem Zeigefinger über den Rand des Glases.
    »In gewisser Weise ist es immer die gleiche Frage«, erklärte sie. »Wenn ich es dir erzähle, wirst du auch nicht mehr von hier wegziehen können.« Anna-Greta

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