Menschenhafen
ändern.«
Anders stand auf, ging in den Bug und legte sich, so gut es eben ging, auf die Ducht, während Simon den Motor anließ, das Boot wendete und heimwärts steuerte. Anders blieb lange sitzen und versuchte die Stelle im Auge zu behalten, an der sie Elin versenkt hatten. Es sollte dort etwas geben. Eine Boje oder eine Flagge, ein Denkmal. Eine Markierung, die anzeigte, dass in der Tiefe ein Mensch war. Aber es gab nichts als ein sich ständig veränderndes Gewässer, und Elin gehörte jetzt zu den Menschen, die im Meer verschwunden waren.
Sie trennten sich schweigend an Simons Steg, und Anders schleppte sich zu seinem Haus. Wenn jemand aus einem Gebüsch gesprungen wäre und eine Schrotflinte auf ihn gerichtet hätte, wäre er zu keiner Reaktion mehr fähig gewesen. Er wäre einfach weitergeschlurft und hätte die brennende Schrotgarbe im Rücken wahrscheinlich freudig erwartet.
Er blickte auf seine Füße hinab, die sich ohne seine Mitwirkung oder seinen Willen bewegten. Er wurde gezogen. Wie ein zu Tode gehetztes, völlig entkräftetes Tier, das dennoch instinktiv oder aus blindem Selbsterhaltungstrieb zu seinem Bau kriecht, bewegte er sich heim, heim.
Er kam ins Haus, zog sich aus, legte sich in Majas Bett und deckte sich zu. Anschließend starrte er zum Fenster, weil er zu müde war, um die Lider zu senken. Er lag an derselben Stelle und ungefähr im selben Licht wie an jenem Morgen, an denen er sich damals wieder hingelegt hatte, nachdem er mit seinem Vater zum Fischen ausgefahren war.
Er dachte, dass er der gleiche Mensch war, das gleiche Kind, und die Zeit im Kreis verlief und er bald aufstehen und die Schubkarre beladen und zum Lebensmittelladen fahren würde.
Das war ein toller Fang heute Morgen …
Vielleicht schlief er mit offenen Augen ein.
Die Anziehungskraft
Das Schild, auf dem »Frische Heringe 6 Kronen das Kilo« stand, hatte er selbst geschrieben, da sein Vater eine Rechtschreibschwäche und außerdem eine unleserliche Handschrift hatte. Jetzt stand es neben ihm auf der Bank vor dem Lebensmittelladen, wo er auf die ersten Kunden an diesem Morgen wartete.
Es war neun, und das Geschäft hatte gerade erst geöffnet. Zwei Leute, die ins Geschäft gegangen waren, hatten ihm angekündigt, dass sie Fisch kaufen wollten, sobald sie ihre übrigen Einkäufe erledigt hatten.
Das war ein vielversprechender Anfang. Trotz des riesigen Fangs hatte Anders den Preis nicht gesenkt, nicht zuletzt, weil er keine Zeit mehr gehabt hatte, das Schild zu ändern. Er hatte ungewöhnlich lange geschlafen, bis Viertel vor neun, und sich sputen müssen, um eine Kiste auf die Schubkarre zu laden und zum Laden zu schieben, bevor er öffnete.
Die erste Kundin kam heraus, es war eine ältere Frau, die Anders jeden Sommer gesehen hatte, solange er zurückdenken konnte, ohne jedoch zu wissen, wo sie wohnte oder wie sie hieß. Sie grüßte ihn immer freundlich, wenn sie sich begegneten, und Anders erwiderte ihren Gruß, hatte aber keine Ahnung, wen er da grüßte.
Die Dame kam zu seiner Schubkarre und sagte: »Ein Kilo, bitte.«
Anders hatte einen Geistesblitz. »Heute ist Ausverkauf«, sagte er. »Man bekommt zwei Kilo für zehn Kronen.«
Die Dame hob die Augenbrauen und beugte sich über die Heringe, als wollte sie schauen, ob mit den Fischen etwas nicht stimmte. »Wie kommt’s?«
Anders erkannte, dass er ihr am besten die Wahrheit sagte. »Wir haben heute sehr viel gefangen, wir müssen sie irgendwie loswerden.«
»Aber was soll ich mit so viel Fisch?«
»Einlegen. Einfrieren. Gut möglich, dass es diesen Sommer keine Heringe mehr gibt. Das könnten die letzten dieses Jahr sein.«
Die Frau lachte auf, und Anders stählte sich angesichts dessen, was nun kommen würde, sie würde ihm mit Sicherheit die Haare zerzausen. Damit musste man leben. Aber die Dame lachte nur und sagte: »Du bist ja ein richtiger Geschäftsmann! Na schön. Dann nehme ich wohl zwei. Weil Ausverkauf ist.«
Anders stülpte eine Plastiktüte über seine Greifhand, legte zweiundvierzig Heringe in eine zweite Tüte, fügte sicherheitshalber noch ein paar hinzu, verknotete sie, überreichte sie der Frau und nahm den Geldschein in Empfang, als der zweite Kunde aus dem Laden kam. Es war ein Mann mittleren Alters, der seiner Kleidung nach zu urteilen ein Segler war.
Die Dame hielt ihm ihre gut gefüllte Plastiktüte hin und sagte: »Heute ist Ausverkauf.«
Der scherzhafte Ton, in dem sie das sagte, ließ Anders ahnen, dass Ausverkauf
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