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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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während der Sommertag ringsum zum Leben erwachte.
    Schwere
    Wir sind doch noch gar nicht da …
    Anders war so in seine Erinnerungen versunken gewesen, dass er nicht begriff, warum der Motor gedrosselt und das Boot langsamer wurde, obwohl sie erst die halbe Strecke bis zum Gatt zurückgelegt hatten. Die Netze lagen doch nicht hier aus, mitten auf der Förde.
    Dann merkte er, dass die Ducht, auf der er lag, aus Glasfiber gefertigt und er so groß war, dass er eigentlich nicht genug Platz fand. Er war ein erwachsener Mann, sein Vater war tot, und nichts von all dem, was danach an jenem Tag passiert war, hatte mit ihrer heutigen Aufgabe zu tun.
    Aber das hat es eben doch. Alles hat mit allem zu tun. Nur dass ich es nicht sehe.
    Der Motor ging aus, und es wurde still. Simon saß auf der Achterducht und schaute sich um. Kein anderes Boot war in Sicht, es gab keine Augen, die sie ausspionieren konnten. Anders machte den Schritt zurück in die Gegenwart, obwohl er zu gerne weiter in der Vergangenheit geblieben wäre. Die schwarzen Säcke zu Simons Füßen waren real und forderten ihn zu einer Handlung auf, zu der er sich niemals fähig geglaubt hatte.
    Das ist alles meine Schuld. Ich muss … mithelfen.
    Er sammelte die Kette auf, schleppte sie ins Heck und ließ sie auf das schwarze Bündel rieseln. Simon lächelte traurig. »Weißt du, was das für eine Kette ist?«
    »Ist das etwa die Kette, die du immer benutzt hast, wenn du …?«
    »Mmm. Die ist schon mehr als einmal im Meer gewesen.« Simon nickte für sich, und sie blieben für einen Moment stumm. Simon strich über das Plastik an Elins Kopf.
    »Sie ist tot. Nichts von dem, was wir tun, spielt für sie noch eine Rolle. Sie ist ertrunken. Sie ist ertränkt worden. Und nun kommt sie ins Meer. Das ist nicht seltsam und auch nicht falsch. Wir müssen es nur durchziehen. Weil wir weiterleben werden.« Simon sah Anders in die Augen. »Oder nicht?«
    Anders nickte mechanisch. Das war ja gar nicht sein Problem. Sein Problem lag vielmehr darin, sich mit dem toten Körper zu befassen, Muskeln und Knochen durch das schwarze Plastik hindurch zu spüren und nicht hundertprozentig wissen zu können … ob sie wirklich tot war.
    »Wozu brauchen wir eigentlich die Plastiksäcke?«, erkundigte sich Anders.
    »Ich weiß nicht«, erwiderte Simon. »Ich habe gedacht … dass es so vielleicht einfacher sein würde.«
    »Das ist es nicht.«
    »Nein.«
    Anders verstand die Überlegung, dass sie so vor sich selbst verbergen würden, was sie da taten. Trotzdem war es eine Erleichterung, als sie die Säcke wegzogen und Elins Leiche zu ihren Füßen lag. Ihre Haut hatte allen Glanz verloren, und aus ihren aufgerissenen Augen war jede Farbe gewichen. Es war ein schrecklicher Anblick und trotzdem besser so.
    Als Simon sich bückte und nach der Kette griff, sah er die Narben auf ihrem Körper und in ihrem Gesicht, die im Morgenlicht weiß leuchteten. »Was sind das für Narben?«
    »Ich kann’s dir erzählen«, sagte Anders. »Aber nicht jetzt.«
    Gemeinsam hoben sie Elin an, umwickelten sie mit der Kette und befestigten diese mit zwei Karabinerhaken. Egal, wie fest sie spannten, Elins Haut reagierte nicht, verfärbte sich nicht rot und schwoll auch nicht an. Ihre Augen starrten in den Himmel, ohne zu zwinkern, und Simon verharrte in ihrem leeren Blick.
    »Wer war sie?«, fragte er.
    Es war die Frage, die gestellt werden musste, die letzte Frage. Leider wusste Anders keine Antwort.
    »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Ich glaube, sie war ein Mensch, der … Bestätigung suchte. Dass sie auf vielen verschlungenen Wegen versucht hat, dafür zu sorgen, dass die ganze Welt sie wundervoll fand. Aber …«
    Die Erinnerung an Elins Lächeln, als Henrik und Björn an der Fischerhütte gedemütigt wurden, blitzte auf, und Anders senkte den Kopf.
    »Dann erinnern wir uns an einen Menschen, der wundervoll sein wollte«, sagte Simon und packte die Ketten auf den Oberschenkeln und am Bauch.
    Sie bugsierten Elin über die Reling. Ihre Beine wurden über den Bootsrand geklappt, und sie hing noch für ein paar Sekunden mit Kopf und Oberkörper im Wasser. Dann hob Simon behutsam ihre Füße an. Die Leiche kam frei und glitt mit einem leisen Klatschen in die Tiefe.
    Anders lehnte sich über die Reling und sah sie versinken. Ein paar Luftblasen lösten sich aus ihrem Mund und stiegen wie durchsichtige Perlen zur Oberfläche. Ihre Haare wehten und verbargen ihr Gesicht, während sie in die Tiefe gesogen

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