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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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kurze Hochzeitsreise nach Finnland antreten würden. Dann konnte er es tun. Und außerdem so rücksichtsvoll sein, es nicht hier , in ihrem Haus zu tun. Das wäre Egoismus in Reinform gewesen, und außerdem wusste er doch, wo es getan werden sollte, welcher Ort der richtige für Opfer und Gaben war.
    Vorsichtig löste er den Hahn, versteckte die geladene Flinte hinter den Netzen, ging in die Küche und goss sich eine Tasse Kaffee ein, während er auf Simon wartete.
    Simon kam nicht.
    Sie hatten verabredet, gemeinsam das Boot um eins zu nehmen, aber es wurde halb eins und Viertel vor eins, ohne dass Simon auftauchte. Anders dachte, dass er in seiner Zerstreutheit am Vorabend etwas missverstanden haben musste und sie sich am Schiffsanleger treffen würden.
    Ihnen zuliebe würde er so tun, als lebte er noch einen Tag. Danach würde er keine Rücksicht mehr nehmen. Es war schlimm genug, dass sie es erfahren mussten, wenn sie von ihrer Reise heimkehrten, doch das ließ sich nicht ändern. Er konnte nicht weiterleben, nur damit sie froh waren.
    Aber einen Tag würde er noch mitspielen, und während er eine Zigarette rauchte, begutachtete er im Garderobenspiegel sein Äußeres und überprüfte, ob es für eine Hochzeit taugte. Das weiße Hemd und die Hose waren ihm ein bisschen zu groß, die Schuhe passten dagegen erstaunlich gut. An der Garderobe fand er eine von Simons abgewetzten Jacken und zog sie an.
    Als er die Haustür hinter sich schloss und von einem weiteren grau verhangenen Tag empfangen wurde, glaubte er, dass er ihn schon durchstehen würde. Die Waffe stand geladen und bereit, es würde nur etwa zwanzig Stunden dauern, bis sie zum Einsatz kam.
    Die Finsternis schien sich für den Moment damit zufriedenzugeben, dass die Vorbereitungen abgeschlossen waren, und ließ ihn sogar mehrmals aus den Augen, als er zum Schiffsanleger flanierte.
    Auch dort war von Simon weit und breit nichts zu sehen. Ungefähr zwanzig festlich gekleidete Menschen standen auf dem Anleger versammelt, die alle auf dem Weg nach Nåten und zur Hochzeit waren, aber der Bräutigam fehlte. Anders ging zu Elof Lundberg. Er trug einen schweren Mantel, der einfach nicht zu seiner unvermeidlichen Schirmmütze passen wollte.
    »Hast du Simon gesehen?«
    »Nee«, antwortete Elof. »Ist er denn nicht schon da?«
    »Doch. Das ist er wohl.«
    Anders zog sich zurück und versuchte sich zu erinnern, was Simon ihm gesagt hatte.
    Er wollte für Göran nach Wasser suchen, war es nicht so?
    Anders schaute sich um, aber auch Göran glänzte durch Abwesenheit. Grausam, aber wahr, in Anders Kopf flammte eine kleine Hoffnung auf: dass etwas passiert war. Etwas, weswegen man die Hochzeit absagen müssen würde. Etwas, das ihm erlaubte, schon heute zu der Schrotflinte zurückzukehren.
    Das Zubringerboot glitt heran, und während die Hochzeitsgäste an Bord gingen, wurde viel geredet und gelacht. Als das Boot rückwärts ablegte, stand Anders im Bug und blickte zu Simons Bootssteg hinüber. Hatte er vielleicht sein eigenes Boot nach Nåten genommen?
    Aber das Boot lag am Steg, und der Bräutigam war nirgends zu sehen.
    Prüfung der Ehefähigkeit
    Anders blieb während der gesamten Überfahrt im Bug, ohne mit jemandem zu sprechen, und als sie anlegten, verließ er als Erster das Boot und ging mit schnellen Schritten zur Kirche. Hinter ihm folgte die ausgelassene Hochzeitsgesellschaft.
    Die Kirche von Nåten stand schön gelegen auf einem Hügel in Meernähe, und der Kirchhof erstreckte sich den ganzen Hang bis zum Ufer hinunter, wo der emblematische Anker, der alle Schriftstücke der Kirche schmückte, wie ein Bremsklotz lag, der Steine und Kreuze daran hinderte, ins Wasser zu rutschen.
    Die Trauung sollte erst eine gute halbe Stunde später beginnen. Anders nahm an, dass zukünftige Eheleute den exakten Zeitpunkt im Gemeindeheim vor den Toren des Kirchhofs abwarteten. Er stieg die flache Treppe hinauf und klopfte an. Als ihm niemand öffnete, trat er ein.
    Man hatte zwei lange Tafeln für die Gäste gedeckt, und zwei überbordend dekorierte Sandwichtorten thronten auf einem kleineren Tisch mitten im Saal. Hinter einer Tür am anderen Ende des Raums hörte man Frauenstimmen.
    Sie muss es erfahren.
    Das Stimmengewirr der Gäste kam näher. Anders durchquerte den Saal, klopfte vorsichtig an die Tür und öffnete sie.
    Obwohl er dem Tode geweiht war und im Grunde nichts mehr eine Rolle spielte, kam er nicht umhin, beim Anblick seiner Großmutter im Hochzeitsstaat zu

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