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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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Pfeife. Maja blieb am Fenster stehen und sah Erik hinterher, der hinter der Seehütte verschwand.
    »Er hat jedenfalls seinen eigenen Kopf«, sagte sie. »Den kann ihm keiner nehmen.«
    Anfang Mai war das Haus fertig. Zwei Wochen später wurde geheiratet. Die Trauung sollte im Freien stattfinden, auf den Felsen Norruddens, und anschließend wurde zu einem kombinierten Festessen und Richtfest in Eriks Haus auf der Landzunge eingeladen.
    Es war ein windiger Tag. Die Leute mussten ihre Hüte festhalten, und als die Braut den Brautstrauß warf, wurde er ins Meer geweht, ehe ihn jemand fangen konnte. Die Hochzeitsgesellschaft eilte mit flatternden Kleidern und Augen, die von Wind und Rührung tränten, zum Haus des frisch vermählten Paars.
    Anna-Greta fand, dass Erik ihre Hand viel zu fest hielt, als sie, den Zug anführend, am Hafen vorbeikamen und den Weg zu ihrem Haus fortsetzten. Wahrscheinlich war er angespannt und nervös. Sie war selbst ziemlich aufgeregt, weil Erik ihr das Haus noch nicht gezeigt hatte, in dem sie als Eheleute in guten wie in schlechten Zeiten, bis dass der Tod sie schied, zusammenleben sollten. Sein Griff war jedoch so fest, dass sie ihm mit keinem ermutigenden Händedruck antworten konnte, dafür war kein Platz.
    Eriks Mutter und ihre Freundinnen hatten am Morgen im Freien gedeckt, aber alles wieder in Haus geschafft, als der Wind eine Stunde vor der Trauung auffrischte. Als die Gäste eintraten, waren die Tische schon gedeckt, und Eriks Mutter und ihre Helferinnen trugen unverzüglich das Essen auf.
    Erik ließ Anna-Gretas Hand los und hielt eine kurze Begrüßungsrede, was ihr die Möglichkeit gab, sich ein wenig umzuschauen. Das Ganze sah eigentlich ganz hübsch aus, aber es gab ein Detail, das ihr einfach nicht entgehen konnte: Obwohl die Fenster geschlossen waren, bauschten sich die Gardinen. Und …
    Was ist das? Irgendetwas …
    Ihre Augen fuhren vom Flur zur Küche und zum Wohnzimmer. Die Fenster, die Türen, die Decke. Irgendetwas brachte sie dazu, sich ein bisschen seekrank zu fühlen, als würde in ihrem Bauch ein Gewicht seine Lage verändern. Ihr blieb keine Zeit, länger darüber nachzudenken. Die Rede war vorbei, und die Gäste setzten sich zu Tisch. Sie schob das Ganze auf ihre Nervosität.
    Je länger der Nachmittag und der Abend fortschritten, desto mehr verdüsterte sich Eriks Miene. Es wurde über die Fischerei und die Sommerurlauber, über Hitler und die mögliche Befestigung der Åland-Inseln gesprochen, aber an den Enden der Tische und knapp außer Hörweite wurde gegen Wände geklopft und in Winkel und Ecken gezeigt. Köpfe wurden geschüttelt, und manche Bemerkungen drangen an Eriks Ohr.
    Anna-Greta merkte, dass Erik sich fleißig vom Branntwein bediente. Sie versuchte seine Aufmerksamkeit vom Schnaps abzulenken, aber sobald Erik einen bestimmten Punkt überschritten hatte, schien es, als wäre er nur noch ein Paar lauschender Ohren und ein trinkender Mund. Gegen Abend, als sich manche Gäste lautstark darüber unterhielten, worüber sie bislang nur geflüstert hatten, sah sie ihn auf seinem Stuhl sitzen und die Wand anstieren.
    Drei Kinder vertrieben sich die Zeit mit einem Spiel. Sie hatten gekochte Eier, die übrig geblieben waren, und wetteiferten nun darum, wer sein Ei, indem er es einfach auf den Fußboden legte und losließ, am weitesten rollen lassen konnte.
    Plötzlich stand Erik auf und räusperte sich vernehmlich. Die Stimmung in dem lustig schiefen Haus war auf dem Höhepunkt, und nur wenige Gespräche wurden unterbrochen. Erik schien das egal zu sein. Er stützte sich auf den Stuhlrücken, um nicht umzukippen, und sagte mit lauter Stimme: »Es ist so viel hin und her geredet worden, da habe ich mir gedacht, dass ich euch doch mal erzählen könnte, was ich von diesem Hitler halte.«
    Daraufhin hielt er eine flammende, aber sehr seltsame Rede. Seine Argumentation war verschlungen und teilweise unverständlich. Die Botschaft lautete jedenfalls, dass Leute wie Hitler vom Erdboden getilgt werden sollten, und warum? Nun, weil sie sich in die Angelegenheiten anderer einmischten und mit ihrem autoritären Gehabe die Freiheit der Menschen erstickten. Hitler war jemand, der glaubte, er wisse alles besser, und deshalb wurden unter seinen Schuhsohlen Menschen zermalmt.
    Erik beendete das Ganze mit den Worten: »Jawohl, zum Teufel mit solchen Besserwissern. Das ist übrigens ein deutsches Wort, Besserwisser. Darüber kann man ja mal nachdenken.«
    Erst als Torgny

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