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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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sich kurze Zeit später entschuldigte und Maja mitzog, begriff Anna-Greta, dass es in Eriks Rede im Grunde um etwas völlig anderes gegangen war.
    Nein, es war keine geglückte Hochzeitsfeier. Und für die Hochzeitsnacht galt das Gleiche. Erik war sturzbetrunken, und als der Morgen graute, ging Anna-Greta hinaus und suchte Trost bei den Möwen, die bereits die Felsen umkreisten.
    Was wird das für ein Leben werden in diesem Haus?
    Plastikperlen
    Die Kiefer stand immer noch so kerzengerade neben der Eingangstreppe, wie sie es seit jeher getan hatte. Anders stellte seinen Koffer neben ihr ab und betrachtete Smäcket , die Stümperbude. Die Blechplatten waren gegen ein Wellblechdach ausgetauscht worden, in dessen Wellen sich große Mengen Tannennadeln gesammelt hatten. Die Fallrohre waren vermutlich verstopft.
    Der Bootssteg schob sich von der Wermutwiese am Ufer wackelig ins Wasser hinaus. Anders’ Großmutter hatte viele Jahre zuvor eine Wermutpflanze von der Insel Stora Korset mitgebracht, und sachte, ganz sachte, hatte diese sich zu einer sich wiegenden Decke aus Blättern und nackten Stängeln entwickelt, die das alte Plastikboot umschloss, das kieloben auf zwei Holzböcken ruhte.
    Er ging einmal um das Haus herum. Auf der Landseite sah es okay aus, auf der Seeseite war die rote Farbe dagegen verblasst, und in den Wandbrettern sah man einige nicht eben kleine Risse. Die Fernsehantenne war fort. Als er auf die Veranda hinaufstieg, sah er sie dort wie eine angeschossene Spinne liegen. Das tat weh.
    Unablässig lastete ein Druck und Schmerz auf seiner Brust, der sich anfühlte wie ein Schrei. Als er um die Hausecke bog, fiel sein Blick auf etwas Rotes im Hagebuttenstrauch. Majas Schlauchboot. Ein billiges, aufblasbares Ding, mit dem sie in jenem letzten Sommer gespielt hatten. Er, Maja und Cecilia.
    Jetzt lag es aufgeschlitzt und ohne Luft im Gestrüpp. Er wusste noch, wie er Maja ermahnt hatte, das Boot nicht über scharfe Steine zu ziehen, es nicht … nun war es auf Hunderte von Dornen aufgespießt, und alles war verschwunden und zu spät.
    Wegen dieses Boots war er seit fast drei Jahren nicht mehr nach Domarö gekommen. Wegen dieses Boots und anderer, ähnlicher Erinnerungen und Spuren. Wegen Dingen, die voller Hohn darauf bestanden, zu existieren, obwohl sie es nicht tun sollten, obwohl das, was sie bedeuteten, verschwunden war.
    Damit hatte er gerechnet und sich dagegen gewappnet. Er weinte nicht. Das Schlauchboot leuchtete im Augenwinkel rot, als er seinen Rundgang um das Haus auf Beinen fortsetzte, die gingen, weil er sie anwies, dies zu tun. Er bog um die Ecke, nahm Kurs auf den Gartentisch und ließ sich schwer auf die Sitzbank fallen. Das Atmen fiel ihm schwer, kleine Hände klemmten ihm die Luftröhre ab, Punkte tanzten vor seinen Augen.
    Was zum Teufel habe ich hier zu suchen?
    Als der Krampf im Hals nachließ, stand er auf und trat den Stein am Stachelbeerstrauch fort. Ein paar Asseln krochen über die Plastiktüte, die den Schlüssel enthielt. Er wartete, bis sie weggekrabbelt waren, ging in die Hocke und griff nach der Tüte. Als er sich wieder aufrichtete, wurde ihm schwindlig. Wie betrunken ging er zur Haustür, schloss auf, schleppte sich ins Badezimmer und trank ein paar Schlucke rostig schmeckendes Wasser aus dem Hahn. Atmete tief durch und trank noch ein paar Schlucke. Das Schwindelgefühl ließ nicht nach.
    Die Tür zwischen Wohnzimmer und Flur stand offen, und das Licht von Meer und Himmel tauchte die Couch unter dem Fenster in weißliches Licht. Er sah sie wie durch einen Tunnel, taumelte zu ihr und ließ sich fallen.
    Zeit verstrich.
    Er lag mit abwechselnd offenen und geschlossenen Augen auf der Couch und spürte, dass er fror. Aber das war nur eine Feststellung, spielte keine Rolle. Er blickte auf den schwarzen Fernsehschirm, die rußgeschwärzten Luken des Kaminofens.
    Er erkannte alles wieder, und alles war ihm fremd. Er hatte geglaubt, dass es einen Hauch von Heimkehr geben würde, das Gefühl, zu etwas zurückzukehren, das trotz allem ihm gehörte. Aber so war es nicht. Er fühlte sich wie jemand, der in die Erinnerungen eines anderen einbrach. Das alles gehörte einem Fremden, einem Menschen, der er vor langer Zeit gewesen war, und den er heute nicht mehr kannte.
    Es dämmerte hinter dem Fenster, das Meer leckte über die Felsen. Er rappelte sich von der Couch auf, holte eine Blechdose, die er mit Brennspiritus füllte, stellte sie in den Kamin und zündete sie an, um die kalte Luft

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