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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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Knien hindurch zu Boden gezogen.
    Auf dem Fußboden unter dem Bett lagen einige ihrer Plastikperlen verstreut. Zwanzig, dreißig Stück. Sie hatte Halsketten gemacht, Bilder auf Stiftplatten gesteckt, es war ihre Lieblingsbastelei gewesen. Sie hatte einen ganzen Eimer mit Perlen in allen möglichen Farben besessen, der jetzt unter dem Bett stand. Außer denen, die auf dem Fußboden verstreut lagen. An ders hob ein paar Perlen auf, sah sie sich auf seiner Handfläche an. Eine rote, eine gelbe, drei blaue.
    Noch eine Erinnerung an jenen letzten Tag: Wie er vor ihrem Bett gekniet, den Kopf auf die Matratze gelegt, ihren Duft im Laken gesucht und gefunden hatte, die Tränen, die vom Stoff aufgesogen worden waren.
    Er hatte gekniet. Er war auf der Suche nach ihrem Duft auf den Knien vor dem Bett hin und her gerutscht. Ja. Aber damals hatte es unter seinen Knien keine Perlen gegeben. Er hatte das meiste von seinem Leben in den folgenden Jahren vergessen, vieles lag im Nebel, aber der letzte Tag hier draußen brannte. Klar und deutlich. Keine Perlen, die sich gegen Haut pressten.
    Sicher?
    Ja. Sicher.
    Er glitt zu Boden und schaute unter das Bett. Der durchsichtige Eimer mit Perlen stand ganz hinten und war zu zwei Dritteln gefüllt. Er steckte die Hand hinein und ließ sie von Perlen umschließen, rührte in ihnen. Als er die Hand wieder herauszog, klebten ein paar Perlen an seiner Haut.
    Ratten. Mäuse.
    Er vergrub beide Hände in dem Eimer, füllte seine gewölbten Hände und ließ die Perlen herabrieseln. Kein Mäusekot. Mäuse konnten nicht einmal durch eine Küchenschublade laufen, ohne Kot zu hinterlassen.
    Er schob den Eimer unter das Bett zurück und sah sich auf dem Fußboden um. Die zwanzig, dreißig Perlen, um die es ging, lagen ausnahmslos um das Bett verteilt. Er robbte in die Zimmermitte, schaute in die Ecken, die Fußleisten entlang. Keine Perlen. Unter dem Doppelbett lagen große Wollmäuse und sonst nichts.
    Warte mal …
    Er krabbelte zu Majas Bett zurück und guckte darunter. Hinter dem Perleneimer, neben einem Teddy, stand eine Kiste ohne Deckel mit Duplos. Er zog die Duplokiste heraus. Die bunten Bausteine waren von einer Staubschicht bedeckt. Er konnte es nicht mehr überprüfen, weil er in dem Eimer gerührt hatte, aber auf den Perlen hatte doch kein Staub gelegen, oder?
    Er saß auf dem Fußboden, mit dem Rücken gegen Majas Bett gelehnt. Sein Blick fiel auf den Kleiderschrank. Es war ein klobiges, in der Wand verankertes Ding, das Anders’ Großvater mit dem gleichen Mangel an Begabung, der auch das übrige Haus prägte, an Ort und Stelle gebaut hatte. Der Schrank war ungefähr einen Meter breit, aus groben Restbrettern gezimmert. Der Schlüssel steckte im Schlüsselloch.
    Sein Herz begann erneut zu rasen, an den Händen brach ihm der kalte Schweiß aus. Er wusste, dass die Schranktür auf der Innenseite eine Klinke hatte. Maja hatte in ihm gern unter den Kleidern gesessen und gespielt, dass sie …
    Hör auf damit. Hör auf damit.
    Er presste die Lippen zusammen, hielt den Atem an. Horchte. Man hörte nichts als das Rauschen des Meeres gegen die Felsen, den Wind, der durch die Wipfel der Kiefern strich, das Pochen seines Herzens in den Ohren. Er betrachtete die Schranktür, den Schlüssel. Er bewegte sich.
    Anders schoss in die Höhe und presste die Hände gegen die Schläfen. Sein Unterkiefer zitterte.
    Der Schlüssel rührte sich nicht. Natürlich nicht.
    Hör auf. Hör auf .
    Ohne sich umzusehen, verließ er das Zimmer, löschte das Licht und schloss die Tür. Seine Finger waren eiskalt, die Zähne klapperten. Er legte ein paar grobe Holzscheite auf das Feuer im Kamin, saß anschließend lange da und wärmte seine Hände, den Körper.
    Als er sich beruhigt hatte, öffnete er den Koffer und holte einen der Einliterkartons mit Rotwein heraus, riss den Deckel auf und kippte sich ein Drittel des Inhalts hinter die Binde. Er sah zur Schlafzimmertür. Er hatte immer noch Angst.
    Das Feuer im Küchenherd war erloschen. Er scherte sich nicht darum, nahm stattdessen seine Zigaretten und ein Glas und kehrte zur Geborgenheit ausstrahlenden Wärme des Kamins zurück, wo er rauchte und sich den restlichen Inhalt des Kartons einverleibte. Als er leer war, übergab er ihn den Flammen und holte sich einen neuen.
    Der Wein hatte die gewünschte Wirkung. Muskelverspannungen lösten sich, und die Gedanken trieben richtungslos dahin, ohne sich an einem Ziel niederzulassen. Als er den nächsten Weinkarton halb

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