Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
Vom Netzwerk:
geleert hatte, stand er auf und schaute mit dem Glas in der Hand aufs Meer hinaus. Weit draußen blinkte der Leuchtturm von Gåvasten.
    »Prost, du Schwein. Prost, du verdammtes Dreckschwein.«
    Er leerte das Glas und begann sich im Takt des Leuchtturmlichts hin und her zu wiegen.
    Das Meer. Und wir armen, kleinen, verdammten Menschen mit unseren kleinen, blinkenden Lichtern.
    Unheil droht
    Gegen halb vier wurde Anders davon wach, dass jemand an die Tür klopfte. Er schlug die Augen auf, blieb regungslos auf der Couch liegen und zog die Decke enger um sich. Es war dunkel im Zimmer. Das Leuchtturmlicht wischte herein, und der Boden schwankte kurz. Er hatte einen schweren Kopf.
    Er lag mit weit aufgerissenen Augen im Dunkeln und fragte sich, ob er sich verhört hatte, ob es ein Traum gewesen war. Wieder huschte das Leuchtturmlicht vorbei. Diesmal lag der Boden still. Er hörte, dass hinter seinem Rücken der Wind aufgefrischt hatte. Das Meer warf sich gegen die Felsen, und es zog kalt durch die Fugen des Hauses.
    Er hatte gerade die Augen geschlossen, um den Versuch zu machen, wieder einzuschlafen, als es erneut klopfte. Drei kräftige Schläge gegen die Haustür. Er setzte sich auf der Couch schnell auf und schaute sich instinktiv nach einer Waffe um. Die kurzen, harten Schläge hatten etwas Grausiges an sich gehabt.
    Als ob … als ob …
    Als ob jemand käme, um ihn zu holen. Jemand mit einem Befehl. Jemand, der das Recht hatte, ihn mitzunehmen. Seine Beine waren laufbereit, als er von der Couch glitt, bis zum Kamin schlich und den Feuerhaken fest packte.
    Mit erhobenem Feuerhaken stand er da und wartete darauf, dass es nochmals klopfte. Man hörte nichts außer der beginnenden Raserei des Meeres und dem Knirschen eines halb abgebrochenen Astes im Wind.
    Beruhige dich. Das ist vielleicht nur …
    Nur was? Ein Unfall, jemand, der Hilfe benötigte? Ja, das dürfte am wahrscheinlichsten sein, und hier stand er, als rechnete er mit der Invasion einer fremden Macht. Er machte ein paar Schritte auf die Haustür zu, hielt den Feuerhaken weiter in der Hand.
    »Hallo?«, rief er. »Wer ist da?«
    Sein Herz pochte, und er hatte das Gefühl, jemand würde von außen gegen seinen Kopf drücken.
    Mit mir stimmt was nicht.
    Jemand war mit seinem Boot gestrandet, der Motor hatte bei der steifen Brise ausgesetzt, und ein Mensch war seine Felsen hochgeklettert und stand womöglich nass und durchgefroren vor seiner Haustür.
    Aber warum klopft er so fest.
    Ohne die Lampe anzumachen, die ihn unter Umständen geblendet hätte, schlich Anders zum Flurfenster und schaute hinaus. Soweit er sehen konnte, stand auf der Eingangstreppe niemand. Er schaltete die Außenbeleuchtung an. Da war keiner. Er öffnete die Tür und blickte hinaus.
    »Hallo? Ist da wer?«
    Majas Schaukel schlug im Wind, trockene Blätter wirbelten auf dem Hof umher. Er machte das Schnappschloss auf, trat auf den Treppenabsatz hinaus, schloss hinter sich die Tür, ließ den Blick schweifen und spitzte die Ohren.
    Er glaubte vom Dorf her ein Motorengeräusch zu hören. Ein kleiner Außenborder oder eine Motorsäge. Aber wer war um diese Uhrzeit mit dem Boot unterwegs, wer fällte mitten in der Nacht Bäume? Es konnte natürlich auch ein Moped sein, aber dann stellte sich die gleiche Frage.
    Majas Schaukel verfinsterte seine Gedanken. Wie sie dort vor und zurück schlug, sah es aus, als säße jemand darauf und schaukelte, jemand, den er nicht sehen konnte. Als er sich einige Schritte von der Tür entfernte und »Maja?« in die Leere hinein sagte, fegte ihm der Wind kalt über Brust und Bauch.
    Keine Antwort. Keine Veränderung in den wütenden Bewegungen der Schaukel. Er senkte den Feuerhaken und strich sich mit der freien Hand über das Gesicht. Er war immer noch betrunken. Betrunken und hellwach. Das Motorengeräusch, sofern es denn eins gewesen war, hatte aufgehört. Nur das Knarzen des halb abgebrochenen Asts war noch zu hören.
    Er kehrte zur Tür zurück und untersuchte ihre Außenseite. Keine Spur von dem, der dagegengehämmert hatte. Es zuckte in seinen Mundwinkeln.
    Ich weiß, was das bedeutet.
    Seine Großmutter hatte ihm einmal von einer Begebenheit erzählt, bei der ihr Vater in einem Schuppen auf einer Insel am Rande des offenen Meers übernachtet hatte. Er hatte dort »etwas erledigen« müssen, was die gängige Verharmlosung dafür war, dass er Schnaps schmuggelte. Wahrscheinlich hatte er sich im Morgengrauen außerhalb der Dreimeilenzone mit irgendeinem

Weitere Kostenlose Bücher