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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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das, aber …«
    »Aber was?«
    »Andere glauben, dass Holger es getan hat.«
    »Glaubst du das auch?«
    »Nein. Nein, nein. Er hatte viel zu viel Angst vor ihr.«
    »Und jetzt kann er nur noch die Stockholmer verabscheuen?«
    »Genau. Aber das tut er dafür umso mehr.«
    Holgers These
    Die Abneigung gegen Leute aus der Landeshauptstadt ist nichts, was es nur auf Domarö gibt, ja, nicht einmal nur in Schweden. Es gibt sie überall und gelegentlich auch aus gutem Grund. Holgers Geschichte kann stellvertretend für das stehen, was in den Stockholmer Schären, und damit auch auf Domarö, geschehen ist.
    Wie Anders und viele andere auf Domarö stammte Holger aus einer Familie von Lotsen. Durch kluge Erwerbungen, Heirat und andere Schachzüge besaß Familie Persson schließlich den gesamten nordöstlichen Teil von Domarö, ein Areal von gut dreißig Hektar mit Waldstücken, Wiesen und Feldern von der Uferlinie aus landeinwärts.
    Diesen Besitz hatte Holgers Vater zu verwalten, als er Anfang der Dreißigerjahre ins Mannesalter kam. Im Sommer tauchten damals die ersten Sommerurlauber auf, und wie viele andere auf der Insel ließ auch er ein paar Fischerschuppen zum Vermieten instand setzen und ausbauen.
    Ohne hier näher ins Detail gehen zu wollen, gab es jedoch gewisse Schulden in der Erbmasse, und außerdem griff Holgers Vater etwas zu schnell nach der Flasche, wenn die Dinge für ihn eine ungünstige Wendung nahmen. Eines Sommers schloss er Bekanntschaft mit einem Immobilienmakler aus Stockholm. Es wurden eifrig Runden ausgegeben, man trank Bruderschaft, und es war die Rede davon, dass Holgers Vater Mitglied der Tempelherren werden sollte, jener sagenumwobenen Loge, an deren Spitze der legendäre Carl von Schewen stand.
    Nun gut. Das Ganze führte jedenfalls dazu, dass Holgers Vater dem Makler die Landzunge Kattudden verkaufte. Ein gut fünfzehn Hektar großes Stück Land, auf dem kein Wald wuchs und die Weiden kärglich waren. Der Kaufpreis lag etwas höher als die Summe, die er bekommen hätte, wenn er an einen der anderen Inselbewohner verkauft hätte.
    Doch der Makler hatte natürlich weder Weideland noch Wald im Visier. Innerhalb von zwei Jahren hatte er Kattudden in dreißig Grundstücke aufgeteilt, die er anschließend an interessierte Sommerurlauber verkaufte. Jedes dieser Grundstücke kostete ungefähr die Hälfte von dem, was er selbst für die gesamte Landzunge bezahlt hatte.
    Als Holgers Vater klar wurde, was passiert war und wie gründlich ihn der Makler hinters Licht geführt hatte, stand die Flasche als naheliegendster Trost bereit. Holger war damals sieben Jahre alt und musste mitansehen, wie sich sein Vater in einen Morast aus Selbstmitleid trank, während die Stockholmer fröhlich Sommerhäuser in Fertigbauweise auf jenem Grund und Boden errichteten, der seit Generationen im Besitz seiner Familie gewesen war. Zwei Jahre später ging sein Vater mit einer Schrotflinte zu dem Waldstück, das sie noch besaßen, und kehrte nie mehr zurück.
    Die gleiche Geschichte kann man in verschiedenen Versionen auf vielen Schäreninseln hören, aber dies war Familie Perssons Variante, und es ist zweifellos eine der hässlicheren. Transaktionen dieser Art haben bei zahlreichen Menschen zu großer Verbitterung geführt, und am verbittertsten von allen war Holger.
    Seine These war im Grunde ganz simpel: Die Wurzel allen Übels war der Stockholmer. Darüber hinaus gab es gewisse Stockholmer, die mehr Schuld auf sich geladen hatten als andere. Die zwei größten Schurken hießen Evert Taube und Astrid Lindgren.
    Holger wurde es niemals leid, jedem, der es hören wollte, zu erklären, wie die Dinge zusammenhingen: Die Schären waren einst eine lebendige Landschaft mit einer hart arbeitenden Be völkerung gewesen, bis der über alle Maßen erfolgreiche Sänger und Liedermacher Evert Taube kam und das Ganze in seinen Liedern romantisierte. Er erfand die legendäre Gestalt Rönnerdahl und schrieb das Lied Calle Schewens Walzer. Der wirkliche Carl von Schewen war als Folge der vielen neugierigen Stockholmer, die unter irgendeinem Vorwand zu seinem Bootssteg kamen und von ihren Booten aus mit dem Fernglas Ausschau hielten, um zu sehen, ob Calle gerade sein Heu zusammenharkte oder mit der Rose Roslagens tanzte, auf seine alten Tage menschenscheu geworden.
    Doch das war nur ein trauriges Detail in diesem Zusammenhang. Wirklich furchtbar war vielmehr, dass den Stockholmern durch Taubes Romantisierung die Augen für die Schären

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