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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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und zeigte fuchtelnd mit einem Arm aufs Meer hinaus, Göran stand vor ihm und trat in die Erde, als wäre er gereizt. Wirklich merkwürdig war jedoch etwas anderes.
    Die Briefkästen waren fort.
    Die Wand am Lebensmittelgeschäft, das seit Ende der Sommersaison geschlossen hatte, war vollkommen leer. Nur der gelbe Briefkasten für abgehende Post hing noch, sah aber seltsam aus.
    Wird die Post etwa nicht mehr ausgetragen?
    Als Simon näher kam, erkannte er, dass das Problem anderer Art war. Zehn Meter vor dem Lebensmittelgeschäft trat Simon in die ersten Späne, die immer zahlreicher wurden, je näher er der Wand kam. Plastikspäne und Holzspäne, Bruchstücke der Briefkästen, die am Vortag noch an der Wand gehangen hatten. Der gelbe Blechbriefkasten für abgehende Post war verbeult und hing schief.
    Holger sah ihn kommen und platzte heraus: »Sieh einer an, da kommt ja der Stockholmer. Na, von dem kann man natürlich keine Unterstützung erwarten.«
    Simon trat in das Mosaik aus zersplittertem, buntem Plastik. »Was ist passiert?«
    »Was passiert ist?«, erwiderte Holger. »Ich werd dir sagen, was passiert ist. Heute Nacht, als wir friedlich geschlafen haben, sind ein paar verdammte Hauptstadthallodris mit ihrem Boot gekommen und haben unsere Briefkästen kurz und klein geschlagen, weil sie gerade nichts Besseres zu tun hatten.«
    »Und warum?«
    »Warum? Ja, glaubst du denn, die brauchen einen Grund ? Vielleicht haben sie keinen Anlegeplatz im Jachthafen bekommen, vielleicht waren sie unzufrieden mit der Zahl der Sonnenstunden im letzten Sommer, vielleicht finden sie aber auch einfach, dass doch nichts so viel Spaß macht, wie etwas kaputt zu machen, und wenn du mich fragst, dann sage ich dir, Letzteres trifft zu. Ich bin so verdammt wütend.«
    Holger machte auf dem Absatz kehrt und humpelte zum Schiffsanleger hinunter, wo Mats, der Besitzer des Lebensmittelladens, auf das Zubringerboot wartete.
    Simon wandte sich an Göran und fragte: »Aber eigentlich …?«
    Göran betrachtete die Spuren der Zerstörung ringsum und schüttelte den Kopf. »Eigentlich haben wir keine Ahnung. Das könnte jeder gewesen sein.«
    »Jemand von unserer Insel?«
    »Ich könnte es mir von niemandem vorstellen. Aber man weiß ja nie.«
    »Hat keiner was gehört?«
    Göran nickte zum Steg hin. »Mats hat was gehört, und dann ist ein Motor angelassen worden. Aber er wusste nicht zu sagen, ob es ein Außenbordmotor oder ein Moped war. Der Wind kam aus der falschen Richtung.«
    »Das muss doch einen … Heidenlärm gemacht haben.«
    »Ich weiß nicht recht«, sagte Göran und hob ein paar grüne und graue Bruchstücke auf, die er Simon zeigte. »Sieh dir die hier mal an. Was denkst du?«
    Die Teile in Görans Hand, Haiflossen und Rhomben, hatten ausnahmslos scharfe Kanten. Auch die Stücke auf der Erde waren relativ groß. Es gab keine kleinen Splitter.
    »Das sieht nicht aus, als wären sie zerschlagen worden.«
    »Nein, nicht wahr? Eher zerschnitten . Mit einem scharfen Messer oder etwas Ähnlichem. Und sieh mal hier.«
    Göran zeigte auf den Blechbriefkasten. Er war verbeult und hing schief, aber die Beulen hatten scharfe Winkel in der Mitte, an denen das Metall durchschimmerte. Diese Beulen rührten nicht von Schlägen, sondern von Stichen her. Jemand hatte mit einem großen Messer auf den Briefkasten eingestochen.
    Simon schüttelte den Kopf. »Warum tut man nur so etwas?«
    Göran zögerte, ehe er antwortete, als wollte er sich möglichst korrekt ausdrücken. Schließlich sagte er. »Meine Erfahrung in solchen Dingen … sagt mir, dass man es tut, weil man hasst.«
    »Und was hassen diejenigen – oder derjenige?«
    »Uns.«
    Simon betrachtete erneut die Splitter auf der Erde, den verbeulten Briefkasten. Die Wut. Die Gesamtheit der Briefkästen stand für die Inselbewohner. Jeder Briefkasten war ein Ausläufer der Person, der er gehörte. Ein Name.
    Göran zuckte mit den Schultern. »Oder man tut es aus purer Lust an der Zerstörung, was weiß ich. Manchmal ist es so. Meistens jedoch nicht. Und was machen wir jetzt?«
    Übergriffe und gewaltsame Abweichungen von der Normalität hatten die Tendenz, Lücken zu schaffen, in denen keiner die Verantwortung übernahm. Niemand war schuldig, niemand verantwortlich. Da blieb es schnell zwei alten Männern überlassen, die zufällig vorbeigekommen waren, das Ganze in die Hand zu nehmen. Göran ging in die Hocke und begann Bruchstücke aufzusammeln, Simon holte den Papierkorb, der an der

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