Menschenherz - Band 1-3
Tatsache, die wichtigsten Momente meines Lebens festgehalten zu habe, beruhigten mich seltsamerweise.
„ Ich habe so viele Fehler gemacht“, hörte ich mich selber leise murmeln.
Gabriel zuckte mit den Achseln.
„ Sind es wirklich alles Fehler?“ Dann schmunzelte er. „Mir fällt nur einer ein.“ Sein Grinsen wuchs in die Breite. „Obwohl der ganz am Anfang von allem steht.“
Sein Lächeln verschwand, um mir zu zeigen, dass ein Funken Wahrheit in dem Satz steckte.
Obwohl der Engel mich seit Jahrtausenden damit aufzog, wusste ich, dass er unter der Welt litt. Er gab mir nicht die Schuld für die Entwicklung der Menschheit, aber im Glauben, dass Jahve keine Fehler macht, wusste er immer noch, dass Adam und ich ein Paar hätten sein sollen.
Am liebsten hätte ich auf ihn eingeschlagen.
Der Unmut musste mir deutlich im Gesicht gestanden haben, denn Gabriel lenkte ein: „Lilith, du weißt, dass ich die liebe – von Anfang an geliebt habe – und dass ich alles in meiner Macht liegende tun würde, um dir zu helfen und dir deine Wünsche zu erfüllen, oder?“
Ich blickte hoch. Als mich der Blick seiner himmelblauen Augen traf, erschrak ich über die Schwermut und die Verzweiflung, die ich in ihnen las.
„ Gibt er sich die Schuld für alles? Für den Zustand der Welt? Für mein Leid? – Oder leidet er nur mit dir?“
Beunruhigt berührte ich seine Wange. „Ich weiß“, flüsterte ich. Als er nicht reagierte und seinen Blick nicht von mir abwandte, fügte ich leiser hinzu: „Wenn Jahve keine Fehler macht, war auch der Sündenfall geplant und der Tod, oder nicht?“
Keine Miene regte sich auf dem Gesicht des Engels. Wir hatten diese philosophische Diskussion schon so oft durchgekaut, dass eine Entgegnung nicht mehr nötig war. Mein Gehirn ergänzte die Fehlenden Argumente und Vermutungen, die wir vertraten: „Dann hätte Jahve Eva als Erste erschaffen.“
„ Wieso gab es dann nicht von Anfang an eine Evolution, aus der sich die Menschen entwickelt haben?“
„ Wieso wirkte dann alles, einschließlich der Seelen und des Himmels, so improvisiert?“
„ Jahve macht keine Fehler, oder?“
„ Was sollte der Sündenfall bezwecken?“
„ Wenn alles einen Grund hat, welchen Grund haben dann Tod und Elend?“
„ Und welchen Sinn habe ich?“
„ Jahve macht keine Fehler, oder?“
Manchmal war ich nach diesen Gesprächen am Boden zerstört. Dann verließ ich tagelang die Wohnung nicht, schloss mich im Dunkeln ein und führte Selbstgespräche, die in Wirklichkeit an Jahve gerichtet waren, um meinen Glauben, mein Gottvertrauen wiederzufinden.
Und manchmal brauchte ich diese Zeit, um das Gefühl wieder loszuwerden, dass man mir ein wichtiges Puzzleteil vorenthielt.
Der Erzengel riss mich aus meinen Gedanken: „Ich liebe dich!“
Ungestüm umarmte er mich und hielt mich so fest, als wenn er mich nie wieder gehen lassen würde.
Überrascht über seinen Gefühlsausbruch versuchte ich einen Blick in sein Gesicht zu werfen, um herauszufinden, warum er so bewegt war, doch er klammerte sich zu sehr an mich. Er schien zu glauben, dass ich im Moment besonderen Schutz und Zuwendung bräuchte.
„ Und da hat er verdammt noch mal recht!“ Zitternd ließ ich seine Umarmung geschehen und war froh, dass er meinen verzweifelten Gesichtsausdruck nicht erkennen konnte.
Als er mich schließlich ein wenig verlegen wieder losließ, hatte ich mich wieder im Griff und strahlte ihn an, um seine eventuellen Bedenken zu zerstreuen.
„ Wo haben sie mein altes Evangelium?“, erkundigte ich mich und Gabriel schien froh, dass Thema wechseln zu können.
„ Du musst es nicht zurückholen!“, meinte er und wirkte unsicher, als wenn er mit sich kämpfen würde.
Ich schenkte ihm mein unbeschwertestes Lächeln. „Mir wird schon nichts geschehen“, flachste ich – in der sicheren Gewissheit, dass mir gar nichts geschehen konnte.
Er lächelte zurück und schien eine Entscheidung getroffen zu haben. „Soll ich dich hinbringen?“
Stumm nickte ich. „Wirkt er traurig, oder bilde ich mir das nur ein?“
Mit einem flauen Gefühl im Magen ging ich neben ihm hinaus auf den Balkon, um mich von ihm in die Arme schließen zu lassen. Einen Augenblick lang überlegte ich, ob ich die richtige Entscheidung getroffen hatte, indem ich mich den Fehlern meiner Vergangenheit stellte und mein Manuskript, meine Zukunft auf dem Tisch zurückließ.
Ich kam mir überrumpelt vor. Die ganze Situation wirkte unwirklich, als wenn sie
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