Menschenherz - Band 1-3
jemand anderen geschehen würde.
Zitternd kuschelte ich mich in Gabriels Arme und ließ mich von ihm davontragen.
Traurig bestürmten mich Erinnerungsfetzen an Flüge mit Samiel, meinem Engel. Meinem Engel, der mich vor einer Unendlichkeit verlassen hatte, um irgendwo anders sein Glück zu finden.
„ Wie lange? Wie lange?“ Mein Herz sang eine verzweifelte Melodie, mein Verstand versuchte ihn zu verfluchen und weinte innerlich.
Gabriel setzte mich auf einer einsamen Straße ab.
„ Habe ich dir weh getan?“, besorgt blickte er mich an.
Ich schüttelte den Kopf, stellte mich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss, dankbar, weil er da war und weil er einfach Gabriel war.
Angenehm überrascht zog er mich abermals in seine Arme. Es schien beinahe, als habe er Angst, mich nie wieder zu sehen.
Rasch verdrängte ich diesen unangenehmen Eindruck. Zu sehr erinnerte es mich an meine letzte Begegnung mit Samiel, dem Abschied.
Sanft berührte Gabriel mein Gesicht mit den Fingerspitzen und fuhr mit ihnen die Konturen nach, wie um sie sich einzuprägen. Ich schloss die Augen, um seinem besorgten Ausdruck zu entgehen.
„ Alles wird gut, Lilly! Alles wird gut!“, flüsterte er leise und es klang wie ein Versprechen.
Irritiert versuchte ich in seinem Blick seine Gedanken zu lesen. „Seit wann glaubt er daran?“ Plötzlich hatte ich Angst um ihn. Mehr als um Samiel, oder mich.
„ Ich liebe dich Gabriel!“ Seine Angst schien auf mich überzugreifen und mich zu lähmen. „Oder habe in Wahrheit ich Angst und projizierte sie nur auf ihn?“
Er strahlte mich an und einen Augenblick schien er mit sich zu kämpfen, bevor er anbot: „Soll ich dich begleiten?“
Ich schüttelte den Kopf. „Wieso soll ich riskieren, dass Jahve wieder wegen mir einen weiteren Erzengel verliert?“
Er schenkte mir ein flüchtiges, kleines Lächeln, als hätte er auch nicht wirklich damit gerechnet und gab mir einen sanften Stoß in Richtung eines dunklen Gebäudes.
„ Geh kleine Lilly und rette den Rest deines Lebens“, flüsterte er bewegt.
Ich hörte mich selber kichern und hob drohend meinen Zeigefinger. „Jetzt werd nicht frech!“
Anstatt mir zu antworten streckte er mir – ungebührend für einen Engel – die Zunge raus und versetzte mir einen weiteren Stoß.
Leicht mit dem Kopf schüttelnd verließ ich den Weg und verschmolz mit der Dunkelheit.
Mit einem großzügigen Abstand umrundete ich das Gebäude und prüfte seine Größe, Beschaffenheit und Funktion. War es nur ein Forschungsgebäude, oder gab es Wohnräume? „Ich hätte Gabriel fragen sollen!“
Ein seltsames Hochgefühl hatte von mir Besitz ergriffen, so froh war ich, dass endlich etwas passierte, was aus dem Rahmen fiel und mich aus meiner Jahrelangen „Jahrhundertelangen“ Lethargie weckte und dafür sorgte, dass ich mehr empfand, als nur Leid.
„ Echte, ungefilterte Emotionen !“, jubelte meine innere Stimme und erhoffte sich ein spannendes Abenteuer, wenn auch nur ein flüchtiges.
Grinsend betrat ich das Gebäude durch den unbewachten, offenen Haupteingang.
Vor mir lag das schwach erleuchtete Mittelschiff einer Kirche. Zu beiden Seiten des Ganges erstreckten sich die klassischen unbequemen Holzsitzreihen mit den Gebetsbänken.
Schon auf den ersten Blick konnte ich erkennen, dass sich außer mir niemand in der Kirche befand.
„ Hallo?!“ Die Wände warfen meine Stimme als Echo zurück.
Missmutig richtete ich meine Aufmerksamkeit nach vorne. Ich mochte Kirchen nicht sonderlich.
Sie erfüllten mich immer mit einem kalten Schauder, der mich an alle Jahrhunderte erinnert, die hinter mir liegen und an die, die noch in der Zukunft auf mich lauerten.
Steinbauten, wie Särge der Vergangenheit.
Langsam ging ich vorwärts, denn rechts und links neben dem Altar konnte ich in dem schwachen Licht Türen erkennen. Der Strahl einer einzigen elektrischen Birne leuchtete auf das Kreuz.
„ Du hängst ja immer noch da!“, murmelte ich leise zu dem Holzjesus und genoss meine kleine boshafte Stichelei. „Du hast so vieles für die Menschheit geopfert und was ist ihr Dank? Lassen dich 2000 Jahre hängen.“
Ich hoffte, dass Jahve mich hörte und wenigstens ein bisschen ärgerte. „Wir sind heute kindisch, nicht wahr?!“ , spottete meine innere Stimme.
Da nichts geschah, traf ich eine Entscheidung und öffnete die rechte Tür. Ein langer, hell erleuchteter Gang, der an ein Krankenhaus erinnerte, erstreckte sich vor mir. Er schien bis zum Ende des
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