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Menschenkinder

Menschenkinder

Titel: Menschenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Renz-Polster
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Gesellschaften rund um die Erde gemischtaltrig.
    Die Vorteile der Altersmischung
    Viele Eltern sehen ältere Kinder vor allem als Krawallmacher und Spielzeugwegnehmer. Die Entwicklungspsychologie hält mit einer ganzen Batterie von Forschungsergebnissen dagegen. Danach regen sich Kinder in gemischtaltrigen Gruppen eher gegenseitig dazu an, sich körperlich, geistig und emotional zu »strecken«. Kinder in gemischtaltrigen Gruppen spielen ausdauernder, und sie spielen kreativer – ihr Spiel ist für die Entwicklung ergiebiger als wenn sie »geschichtet« spielen.
    Geben wir einmal zwei Kindern einen Ball. Zwei Vierjährige halten da nicht lange durch. Der eine wirft krumm, der andere fängt schlecht – die beiden stoßen rasch an ihre Entwicklungsgrenzen. Bei einem Vierjährigen und einem Siebenjährigen sieht das schon anders aus. Da entsteht ein beidseitiger Gewinn – für
das ältere Kind sind die ungeschickt zugeworfenen Bälle eine Herausforderung und es kann seinerseits dem Jüngeren den Ball so zuwerfen, dass der ihn auch fangen kann.
    Das Beispiel der Bälle gilt sogar für den schulischen Bereich. So lernen Kinder in altersgemischten Klassen bis zu 40% des Stoffes voneinander – nicht vom Lehrer! Auch in sozialer Hinsicht bauen sich Kinder in gemischtaltrigen Gruppen eher »Entwicklungsbrücken«. Denn in einer altersgemischten Kindergruppe durchläuft ein Kind ganz automatisch eine Vielzahl sozialer Stationen. Es mag zunächst das Kleinste und Schwächste sein, irgendwann aber gehört es zu den Größeren, Stärkeren und Klügeren. Wer heute nur zuhört, dem wird morgen zugehört. Diese Flexibilität im Geben und Nehmen tut den Kindern gut – man denke nur an die herzerfrischende Bewunderung, die jüngere den älteren Kindern so großzügig zeigen! Jedem Kind wäre zu wünschen, dass es solchen Aufwind bei seiner Entwicklung nutzen kann.
    Und da geht es nicht nur um das Selbstbewusstsein. Es geht auch um das Erlernen unterschiedlicher sozialer Rollen. Denn unter Gleichaltrigen steht eines oft im Vordergrund: sich durchzusetzen und zu behaupten. In gemischtaltrigen Gruppen dagegen können Kinder auch ihre »soziale Seite«, Zuwendung und Empathie einüben. Die Kinder sind füreinander ja nicht nur Konkurrenten, sondern auch, in wechselnden Rollen, Beschützer, Vorbilder und Helfer.
    In einer gleichaltrigen Kindergruppe dagegen macht ein Kind eher eintönige soziale Erfahrungen – jedes Kind kauert sozusagen in seiner Nische und wird auch von den anderen in der immer gleichen Rolle wahrgenommen. Da werden Hierarchien und Selbstbilder nur allzu leicht zementiert – oft ist über viele Jahre klar, wer etwas zu sagen hat und wer nicht (diese Festlegung wirkt häufig sogar bis weit in das Erwachsenenleben hinein). Woher soll denn der Wind kommen, der etwa ein schüchternes Kind ermutigt? Heutige Kinder, so fasst es die Entwicklungspsychologin Judith Harris zusammen, »haben keine Gelegenheit, die ganze Erfahrungsskala [des sozialen Lebens] zu durchlaufen. Zu
Hause bleiben sie das Älteste oder Jüngste unter den Geschwistern; in der Schule bleiben sie, wenn sie Glück haben, jahrelang an der Spitze der sozialen Rangordnung, wenn sie Pech haben, ganz unten«.
    Verändertes Drehbuch der Sozialentwicklung
    Fassen wir den Trend zusammen.
    ERSTENS. Informelle, zumal gemischtaltrige Kindergruppen sind auf dem Rückzug. Wenn Kinder heute zusammenkommen, dann meist in Gruppen Gleichaltriger und mit einem von außen vorgegebenen Ziel. Und dieses heißt immer seltener einfach »spielen«, sondern: Lernen, Bildung, Förderung …
    ZWEITENS. Die Erwachsenen sind auf dem Vormarsch. Unbeaufsichtigte Spielräume für Kinder sind selten geworden (sie sind zu einem großen Teil ins Internet umgezogen). Für die reale Welt aber gilt: Wo immer Kinder sind, sind Erwachsene schon da – mit Regeln, Zielen, Anleitung, pädagogischen Programmen, Bewertungen, Aufmunterung und Belohnungen. Und mit guten Ideen: Die Sternstunden der Kindheit buchen sie jetzt in einem Erlebnispark. Und aus dem Kinderspiel haben sie gleich eine eigene Fachrichtung gemacht, die »Spielpädagogik« (deren Motto lautet, ganz ernsthaft: Spielen will gelernt sein!).
    DRITTENS. Mit dem Rückzug der selbst organisierten Kindergruppen ist auch die körperliche Gesundheit der Kinder unter Druck geraten. Kinder, die frei spielen dürfen, laufen körperlich auf Hochtouren und sie wachsen dadurch in ihren Körper regelrecht hinein – ein Kapital fürs ganze

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