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Menschenkinder

Menschenkinder

Titel: Menschenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Renz-Polster
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feindlicher Übernahme des Elternbetts ist maßlos übertrieben. Kein Erwachsener verspürt die Lust, bei seinen Eltern zu schlafen, egal ob er als kleines Kind in deren Bett geschlafen hat oder nicht, und auch unsere Kinder können den Übergang ins eigene Bett schaffen.
    Niemand ist schuld
    Und damit sind wir bei einer Frage, um die wir uns nicht drücken dürfen: Wer ist schuld, dass es mit den Kleinen so schwierig ist? Wer macht da etwas falsch? Es scheint mir, dass wir uns vorschnell auf die immer gleichen Kandidaten geeinigt haben: die Kinder. Sie wurden am Tisch festgebunden, weil sie ihren Spinat nicht essen wollten, sie wurden dafür haftbar gemacht, wenn es
auf dem Töpfchen nicht gleich pullerte, und sie werden jetzt als »gestört« bezeichnet, weil sie nicht alleine einschlafen wollen.
    Mancherorts hat sich in den letzten Jahren ein zweiter Kandidatenstamm dazu gesellt: die Eltern. Sie setzen nicht genug Grenzen, weil sie zu konfliktscheu sind, oder greifen aus Faulheit nicht durch.
    Das Beispiel des Schlafes fordert uns zu einer anderen Antwort heraus: Niemand ist schuld! Wir stecken schlicht und einfach in einem Dilemma: Unsere Kinder haben Recht – und wir Eltern auch. Denn was die Kinder da von uns fordern, passt gut in eine Welt, die längst untergegangen ist – sie könnten heute ja wirklich allein einschlafen und morgens wären noch alle Zehen und Fingerchen dran! Aber es passt schlecht in die Welt, in der wir Großen uns eingerichtet haben – wir wollen abends auch mal in Ruhe »Tatort« gucken können.
    Der Blick auf die Evolution kann dieses Dilemma nicht auflösen. Aber er kann uns helfen, unsere Kinder besser zu verstehen. Dann müssen wir ihnen zumindest keine falschen Vorwürfe mehr an den Kopf werfen. Und dann fällt es vielleicht auch leichter, uns auf die kleinen Steinzeitkinder einzulassen.
    Aber wie das bei einem Dilemma eben so ist: Den passenden Ausweg muss jede Familie selbst finden – schließlich tragen ja auch wir selbst die Verantwortung. Nicht die Evolution, nicht der Kinderarzt, nicht die Ratgeber und auch nicht die Experten.

3
DIE FREIHEIT DER KINDER – UND DER ANGRIFF AUF DIE KINDHEIT
    »Haltungseinrichtungen müssen eine Fläche von mindestens 2,5 Quadratmetern aufweisen, auf der die Legehennen sich ihrer Art und ihren Bedürfnissen entsprechend angemessen bewegen können. Sie müssen so ausgestattet sein, dass alle Legehennen artgemäß fressen, trinken, ruhen, staubbaden sowie ein Nest aufsuchen können.«
    Soweit § 13 der Haltungsverordnung für Legehennen.
    Es erscheint mir dringend geboten, dass wir die Frage nach der artgerechten Umwelt auch für die andere Seite der Gitterstäbe
stellen: Welche Umwelt brauchen Kinder, um ihre menschlichen Potenziale zu entfalten?
    Wir müssen diese Frage stellen, um die vierte Riesenangst anzupacken, die heutige Eltern quält: die Angst, dass wir unseren Nachwuchs zu wenig fördern . Nehmen wir »die Mutter des Erfolgs«, Amy Chua. Das Rezept, mit dem sie Kindern »das Siegen« beibringen will, beinhaltet eine radikale Neudefinition der Kindheit. Statt Spielen (angeblich Zeitverschwendung) ist Üben angesetzt – unter Aufsicht der Eltern. Andere Kinder gelten da als Störenfriede. Bei Freundinnen übernachten oder Kinderpartys besuchen ist tabu, selbst das Theaterspielen in der Schul-AG gilt als suspekt. Überhaupt: Freiheit ist für Kinder gefährlich, sie könnten dadurch das wichtigste Ziel der Kindheit vergessen, nämlich: sich die ersten Plätze zu sichern.
    Es ist leicht, das alles als Extremismus oder als Privatmeinung einer offenbar gequälten Seele abzutun. Aber warum verkauft sich eine extreme Privatmeinung auf einmal millionenfach? Ganz klar. Hinter dem Erfolg solcher Titel steht ein gesellschaftlicher Trend, und er bedeutet den Frontalangriff auf die Kindheit, wie wir sie bisher kennen. Es ist der Trend, unsere Kinder als kleine Kampfmaschinen im globalisierten Wettbewerb zu sehen.
    Die Hoffnung wird scheitern. Und zwar an unseren Kindern. Sie wird scheitern, weil unsere Kinder ohne Freiheit, ohne eine eigene Kindheit, ihr angestammtes Potenzial nicht entfalten können.
    Von Purzelbäumen
    Ein Drittel der Kinder im Kindergarten kann heute keinen Purzelbaum mehr schlagen. Der Grund: Es fehlt ihnen an Gelegenheiten, Purzelbäume zu erlernen. Nach einer britischen Studie ist der Raum, den Kinder zum Spielen im Freien nutzen können, seit den 1970er-Jahren um 90% zurückgegangen. In einer Untersuchung
aus Deutschland

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