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Menschenkinder

Menschenkinder

Titel: Menschenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Renz-Polster
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verbessern – darauf beruht ja die evolutionäre Erfolgsgeschichte unserer Spezies. Deshalb werden Erfindungen gemacht, und deshalb ist die Welt, die Kindern einmal begegnet, nicht mehr dieselbe Welt, in der die Eltern einmal erfolgreich waren. Was es im Leben braucht, lässt sich damit nicht einfach bei Mama und Papa abkupfern. Kinder müssen sich in ihrer Entwicklung vielmehr auch ihren eigenen Reim aufs Leben machen. Sie müssen erfinden, und nicht nur kopieren. Und dazu brauchen sie – ganz dringend – andere Kinder.
    Nehmen wir einmal das wohl wichtigste menschliche Lebenswerkzeug überhaupt, die Sprache. Die Sprachforschung geht davon aus, dass nur Kinder neue Sprachen erfolgreich erfinden können. (Das von Erwachsenen erfundene Esperanto war zwar gut gemeint, ist aber nie zu einer wirklich »lebenden« Sprache geworden.) Tatsächlich verdanken die in vielen ethnischen Schmelztiegeln der Welt (wie etwa in der Karibik) gesprochenen Kreol-Sprachen ihre Existenz den Kindern. Diese entwickelten aus den vielen von Sklaven, von spanischen Eroberern und von Eingeborenen abgehorchten Sprachfetzen im gemeinsamen Spiel eine ganz neue Sprache mit eigener Grammatik. Diese Leistung ist Kindern genau deshalb möglich, weil sie eben nicht bei der Nachahmung stehen bleiben, sondern sich ihren eigenen Reim auf das Vorgefundene machen und daraus schöpferisch neue Formen schaffen.
    Überhaupt hat sich gezeigt, dass Kinder in ihrem Sprachgebrauch weitaus kreativer sind, als Erwachsene das oft annehmen – ja, dass Kinder untereinander sogar eine anspruchsvollere Sprache benutzen, als wenn sie mit Erwachsenen kommunizieren! Schließlich reden Kinder untereinander ja auch über unsichtbare Dinge, Fantasiegeschöpfe und erfundene Welten, also über Sachen, für die es gar keine fertigen Begriffe gibt und die man deshalb gekonnt umschreiben muss, um sein Gegenüber mit auf die Reise nehmen zu können.
    Aber nicht nur, wenn es um grammatikalische Regeln geht – auch beim Erlernen sozialer Regeln, die gerne als Domäne der
»Werteerziehung« durch Erwachsene gesehen werden, brauchen Kinder andere Kinder. In von Erwachsenen organisierten Spielen lernen Kinder nämlich vor allem eines: sich nach den Regeln anderer zu richten. Im Spiel mit Kindern aber lernen sie etwas mindestens genauso Wichtiges. Nämlich selbst Regeln aufzustellen, mit anderen zu verhandeln und durchzusetzen. (Dabei sind Kinder übrigens radikaler als Erwachsene: »Wer sich nicht an die Regeln hält, darf nicht mitspielen«, so lautet das ungeschriebene Gesetz in den Hinterhöfen und auf den Bolzplätzen. Könnte es eine wirksamere Drohung geben als die, vom gemeinsamen Spiel ausgeschlossen zu werden?)
    Wie sehr Kinder einander brauchen, um ihr »soziales Gehirn« aufzubauen, zeigt auch die Entwicklung des Einfühlungsvermögens: Je mehr ältere Geschwister und Freunde ein Kind hat, desto früher gelingt es ihm, die Welt aus der Perspektive des anderen zu betrachten und zu verstehen. Das ist schon ein Gebot der eigenen Interessen: »Von seinen Eltern das zu bekommen, was man braucht, ist einfach. Von anderen Kindern zu kriegen, was man gerne mag – das ist es, was einem Kind soziale Fertigkeiten abverlangt«, heißt es treffend in einem Erziehungsratgeber. Auf Augenhöhe scheinen soziale Antennen schneller zu sprießen.
    Hier ist nicht der Platz, um alle Facetten der kindlichen Entwicklung zu beleuchten (ich habe für eine solche Gesamtschau mein Buch Kinder verstehen geschrieben). Aber eines sollte klar geworden sein: Das Bild, nach dem wir Erwachsenen es sind, die unseren Kindern die Welt erklären und eröffnen, stimmt nicht – Kinder müssen sich die Welt auch selbst erklären und selbst öffnen. Denn Kinder lernen viele Dinge von Erwachsenen. Aber sie lernen viele für ihr Leben entscheidende Dinge nur von Kindern.
    Auch dass Kinder am besten von Erwachsenen, möglichst sogar von Spezialisten, »gefördert« werden, ist zunächst einmal eine reine Behauptung (an der auch so manche Interessen hängen). Ein ungeschicktes, motorisch wenig entwickeltes Kind wird reflexartig zu einem Erwachsenen in die Physiotherapie geschickt. Warum nicht zu anderen Kindern, etwa in einen Waldkindergarten?
Ich wette 100:1, dass das Kind nach ein paar Monaten mit seinem Problem durch ist. — Wer hat es »therapiert«? Die anderen Mädchen und Jungen.
    Von den Kohlen im Feuer
    Es ist an der Zeit, dass wir unsere traditionelle Auffassung der kindlichen Sozialisation ergänzen. Und

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