Menschenkinder
ihr Baby nicht fallen lässt. Die klinische Ängstlichkeit überträgt sich auf das mütterliche Selbstbewusstsein. Das Stillen fällt schwerer, die Heultage sind grauer, das Baby unruhiger – die Lernkette ist abgerissen.
Dazu tragen auch die Experten ihren Teil bei. Die ersten Tage im Leben mit ihrem Kind ist die Mutter vor allem eines: Patientin. Nicht sie ist die Expertin im Leben ihres Kindes, sondern das Personal — und das weiß alles : dass man einem Baby neuerdings kein
Mützchen mehr aufziehen darf (Gefahr der »Überhitzung«), wie das Kleine zu schlafen hat (in vielen Kliniken ist das Schlafen bei der Mutter schlicht und einfach verboten ), wie das mit den Brustwarzen ist (in der einen Klinik sind Stillhütchen gut, in der anderen schlecht), wie man ein Baby beruhigt (»Sehen Sie, es klappt doch«). Täglich Temperatur messen, wiegen, die Brust inspizieren. Viele Mütter verlassen das Krankenhaus komplett abhängig, verängstigt und entmündigt – angesichts des offensichtlich nur mit einem Medizinstudium zu bewältigenden (aber anscheinend lebensrettenden) Wissens um den richtigen Umgang mit dem kleinen Wesen ist die Abgabe von Verantwortung eine nur allzu verständliche Reaktion. In diesem Netz der Wissenden, das viel von Krankheiten versteht, aber nur wenig von dem ganz normalen Leben mit einem Baby, werden die Mütter noch lange zappeln.
Auch nach der »Entlassung« ist es ein langer Weg, bis aus der bedürftigen Mutter die Königin wird, die sie in ihrem neuen Leben eigentlich sein sollte. Jetzt ist sie erst mal »nur Mutter«. Noch krasser der Bruch, wenn sie vorher im Beruf verankert war, als Expertin anerkannt und geschätzt — jetzt findet sie sich als von ihren bisherigen Aufgaben freigestellte Babypäuslerin wieder.
Warum der Elternführerschein NICHT die Lösung ist
Steifer Gegenwind, so könnte man es zusammenfassen: erschwerte Bedingungen beim Familienstart, wenig Hilfen aus dem Fundus der Natur, und auf den »Stamm« scheint nach der Geburt auch kein Verlass.
Ja, und wirklich gut bezahlt ist der Job auch nicht.
Da fällt der Politik schon seit Längerem eine Lösung ein: Stärkung der Eltern durch professionelle Unterrichtung. »Wir lehnen es auf das Entschiedenste ab, dass jeder Mensch glaubt, erziehen zu können, ohne es je erlernt zu haben«, so drückte es Hildegard Hetzer, eine der Super-Nannys der NS-Zeit, schon damals aus. Und auch heute soll wieder ein Ruck durch die Elternschaft gehen. Da können Elternschulungen helfen (selbst notorisch klamme Länderkassen übernehmen die Kosten). Wer nicht außer Haus gehen will, kann es – ausnahmsweise – auf eigene Faust versuchen, dann aber mit vollem Einsatz: »Mütter müssen zur lebenden Schallplatte werden von morgens bis abends. Sonst werden die Nervenzellen [des Kindes] nicht trainiert«, meint Michael Winterhoff.
Aus Sicht der Evolution wird der Druck auf die Eltern seine Wirkung verfehlen. Eltern sind wichtig. Aber sie können den Wind allein nicht drehen.
Das Elternbild der Evolution
Es braucht ein Dorf, um Kinder zu erziehen, dieses afrikanische Sprichwort beschreibt das evolutionäre Arrangement beim Menschen treffend. Allein sind die Eltern aufgeschmissen, allein müssen sie scheitern.
Das ergibt sich aus der evolutionären Lebensstrategie der menschlichen Art. Verglichen mit anderen Tierarten sind Menschenjunge ungewöhnlich groß, und sie sind ungewöhnlich hilflos. Ja, sie sind im Grunde viele Monate lang schwer behindert – sie können zunächst ja nicht einmal den Kopf heben. Was ein Fohlen nach nur wenigen Minuten schafft, nämlich selber laufen, erlernt das Menschenkind erst nach einem Jahr oder noch später!
Natürlich hat der Start als idealisierter Fötus einen Sinn: Der evolutionäre Vorteil des Menschen ist sein großes Gehirn. Leider aber passt dieses nur in einer Kleinausgabe durch den mütterlichen
Geburtskanal. Denn als sich der Urmensch vor ein paar Millionen Jahren auf die Hinterbeine stellte, brachte ihm das zwar erhebliche Vorteile, aber auch einen entscheidenden Nachteil. Das Becken konnte jetzt aus Gründen der Stabilität nicht immer weiter in die Breite wachsen. Weil der Ausstieg also klein zu bleiben hatte, musste der immer intelligenter und großköpfiger werdende Mensch in einem immer unreiferen Stadium auf die Welt kommen: Homo sapiens bestreitet seit mindestens 200.000 Jahren immerhin 75% seines Hirnwachstums außerhalb des Mutterleibs und ist damit auf die beständige
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