Menschenkinder
Pflegedrang des Mannes kann also auf die Partnerin durchaus verunsichernd wirken. Das erklärt vielleicht, warum selbst Doppelverdiener, die vor der Ehe gemeinsam für den Haushalt gesorgt haben, dann häufig doch wieder bei den alten Klischees landen, sobald ein Kind zu versorgen ist. Männer sind ja möglicherweise tatsächlich faule Socken, aber manchmal wird ihnen das auch noch leicht gemacht.
Das Blatt wenden
Überhaupt täte uns ein kritischer Blick auf unser Familienbild ganz gut. Auf dem goldumrahmten Bild des vorletzten Jahrhunderts etwa fehlen in der Regel ja die Dienstmädchen und das sonstige Personal. Und auch im Familienmodell der Wirtschaftswunderjahre, das in konservativen Kreisen noch wie ein legales Halluzinogen herumgereicht wird, fehlt der Hinweis, dass ein Facharbeitergehalt damals eine ganze Familie ernähren konnte.
Nehmen wir die rosarote Brille von der Nase. Denn vielleicht erscheinen uns die heutigen Eltern ja deshalb so oft als schuldig, eben weil sie so heiliggesprochen werden. Weil wir einem trauten, aber falschen Bild aufgesessen sind: Die Eltern zahlen ihre Liebe, ihre Fürsorge und ihr Engagement auf ein Konto ein – das Konto sind ihre Kinder. Je mehr sie einzahlen, desto mehr Zinsen fallen an.
Da ist nur ein Haken: Die Zinsen werden nicht von den Eltern festgelegt, sondern hängen davon ab, wie gut es gerade insgesamt für Kinder läuft – und damit auch von den anderen Helfern, den kindlichen Lebenswelten, Kindergärten, Schulen, den guten Ideen für die Zukunft. Kurz: Wenn die Gesellschaft nicht für Aufwind und gute Konjunktur sorgt, können es auch die Eltern nicht richten.
Schön wäre es natürlich, wenn es in den vielen wichtigen Besprechungen in Davos auch einmal um diese Konjunktur gehen würde – die Konjunktur, die unsere Familien stärkt und nicht nur die Kurse an den Börsen.
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UNTER DIE LUPE GENOMMEN: DAS RÄTSEL DER GEBURT
Bevor wir die Hoffnung auf eine Stärkung der Familie weiter skizzieren, werfen wir aber noch einen Blick auf die ganz konkrete Lebenssituation heutiger Homo-sapiens-Paare. Nehmen wir das erste unverhandelbare Ereignis im Leben eines jeden Menschen: die Geburt.
Als Warnung und Bekenntnis vorweg: Ich habe die Geburt deshalb als Beispiel gewählt, weil mich dieses Thema auch in meiner wissenschaftlichen Laufbahn immer wieder beschäftigt hat. So führte ich Anfang der 2000er-Jahre mit einer Arbeitsgruppe an
der Oregon Health Science University in Portland, USA, eine der ersten Studien zum Thema Kaiserschnitte und ihre möglichen Auswirkungen auf kindliche Allergien durch. Derzeit gehe ich mit anderen Wissenschaftlern am Mannheimer Institut für Public Health der Universität Heidelberg der Frage nach, wie sich die regionalen Unterschiede in den Kaiserschnittraten erklären lassen. Wenn Sie jetzt befürchten, dass Ihnen möglicherweise vor lauter Zahlen und Statistiken gleich das Blut ins Stocken gerät, seien Sie unbesorgt – da ist genug Material, um es wieder in Schwung zu bringen.
Zunächst einmal gibt es da (ohne statistisches Beiwerk) einen neuen Trend zu berichten, freebirthing genannt: Die Mutter gebiert ihr Kind ganz alleine, ohne Hebamme, ohne Mann. »Wenn der Job gelingen soll, mach’s lieber selber«, so der Rat von Laura Shanley, einer der Verfechterinnen aus den USA – schließlich sei die Geburt ein intimer, ja, spiritueller Akt. Ist der Trend wirklich neu? Auch von den Bäuerinnen früherer Zeiten wird berichtet, sie hätten ihre Babys bei der Feldarbeit bekommen, allein zwischen Kartoffelstöcken ...
Beides sind Ausnahmen, guter Stoff für Mythen und Moden. Aus evolutionärer Sicht war die Geburt immer ein Ereignis, das auf der Unterstützung durch andere aufbaute.
Den Grund haben wir bereits kennengelernt: Die menschliche Geburt ist ein Kompromiss. Da muss ein Lebewesen in einem verdammt unreifen Stadium seinen Weg durch einen verdammt engen Geburtskanal finden. Während ein Schimpansenjunges aus seiner Mutter geradezu herausfällt, schafft ein Menschenjunges die Geburt nur durch akrobatische Drehungen in einem vorher in vielen Anläufen aufgedehnten Geburtskanal. Ja, sein großer Kopf kann sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal einen festen Schädel leisten, sondern wird zunächst nur von lose aneinandergefügten Knochenplatten geschützt, die sich in dem engen Becken wie Dachziegel übereinanderschieben können.
Die Enge schlägt sich auch in den Komplikationsraten nieder. Während bei den anderen frei lebenden
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