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Menschenkinder

Menschenkinder

Titel: Menschenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Renz-Polster
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weiter…«

    Die steile Piste
    Weil die Erfahrung eine so prominente Rolle spielt, wurde der Umgang mit einem Baby auch mit Skifahren verglichen. Was Eltern nach der Geburt eines Kindes erwartet, ist ja tatsächlich im Grunde nichts anderes als eine schwarze Piste. Wer da runter will, hat Angst. Und zwar zu Recht: »Ein Mensch, der kaum einen Goldfisch am Leben halten kann, fragt sich, wenn er auf einmal sein eigen Fleisch und Blut in den Armen hält, mit einiger Berechtigung, auf was er sich da eingelassen hat«, so der niederländische Biologe Midas Dekkers. Und der berechtigt angstvolle Mensch kann in noch so viele Buchläden rennen und sich in Ratgebern das nötige Wissen zusammensuchen – schwarze Piste bleibt schwarze Piste. Wer noch nie auf Brettern gestanden hat, hat von guten Ratschlägen gar nichts. »In scharfen Kurven das Gewicht ganz locker auf die Außenkanten der Skier verlagern ...« – das ist ähnlich hilfreich wie »Beim Stillen das Baby am Hinterköpfchen unterstützen und langsam zur Brustwarze führen«.
    Nun ist der Vergleich mit dem Skifahren schon etwas krass. Jeder, der zum ersten Mal eine Piste runter will, fällt auf den Hosenboden. Das ist beim Elternwerden nicht ganz so schlimm. Auch Mütter und Väter mit wenig Erfahrung schlagen sich oft ganz passabel, das zeigen tagtäglich Tausende frischgebackener Eltern. Es läuft am Anfang vielleicht noch nicht filmreif, aber man fängt sich dann doch mit der Zeit. Der Mensch setzt eben auch beim Elternsein auf das Erfolgsrezept seiner evolutionären Geschichte: auf das Lernen. Tatsächlich kommen selbst »erfahrene« Paare um dieses nachgeburtliche Lernen nicht herum – auch die beste Vorbereitung und Erfahrung mit den Babys anderer sind keine Garantie, dass dann mit dem eigenen Kind alles klappt.
    Und was von dem Lernpensum nicht vor der Familiengründung abgeleistet werden kann, kann »on the job« durchaus nachgeholt werden – auch wenn das schon manchmal den Schweiß auf die Stirn treibt.
    Jeder Mensch , der ein Baby bekommt, muss weiter lernen!

    Auch dabei haben wir Rückenwind aus unserer evolutionären Vergangenheit. Nein, nicht die automatischen »Mutterinstinkte« – die sind irgendwo zwischen Eichhörnchenmutter und Menschenmutter verlorengegangen. Aber wir haben immerhin ein intuitives Lernprogramm, das uns den Umgang mit einem Baby erleichtert (zumindest wenn die Bedingungen stimmen, zu dieser Gemeinheit gleich mehr). Dieser Lern-Turbo hilft uns, dass wir uns im Umgang mit einem Säugling nicht danebenbenehmen – wir bewegen uns zum Beispiel intuitiv langsamer und vorsichtiger, wenn wir uns einem Säugling nähern. Unsere Stimme verfällt in eine Art Singsang, und unser Gesicht schneidet plötzlich Grimassen, um dem Baby unsere Gefühle zu vermitteln. Videoaufnahmen zeigen, dass wir selbst da, wo wir nicht direkt mit dem Baby reden, unbewusst auf dessen Signale eingehen – und dabei mit unseren Reaktionen immer in einem an die Wahrnehmungsfähigkeit des Babys angepassten Zeitfenster von unter einer Sekunde bleiben! Damit geben wir dem Baby beständig Resonanz und immer neue Gelegenheiten, sich selbst in unserem Spiegel zu erfahren. Das hilft uns, dem kleinen Menschen gegenüber rasch feinfühlig zu werden.
    Nun aber folgt das Kleingedruckte. Dieses intuitive Elternprogramm, wie es auch genannt wird, ist kein Selbstläufer. Es liegt irgendwo auf unserer Festplatte, aber es läuft nur dann wirklich ruckelfrei, wenn die Bedingungen stimmen.
    Welche Bedingungen?
    Moderne Hindernisse
    Mit dieser Frage landen wir mitten in einer tragischen Entwicklung. In einer Entwicklung, die letzten Endes auch erklärt, weshalb sich heute immer weniger Paare für Kinder entscheiden können. Denn all die Bedingungen, von denen hier zu sprechen sein wird, haben eines gemeinsam: Sie sind Auslaufmodelle. Sie
passen nicht ins Programm des modernen Lebens, sie sind unter Druck geraten oder auch mutwillig geopfert worden.
    Nehmen wir die Erfahrung, die Vorübungen für die Piste. Die Erfahrung hilft den frisch gebackenen Eltern, dass sie sich in der Anfangszeit sicherer fühlen können und nicht von Angst, Sorgen und Bedenken gelähmt werden. Jedem, der Kinder haben will, ist dieser Mutmacher zu wünschen – und doch ist er heute immer seltener im Angebot. Das erste Baby, das in unseren Armen landet, ist tatsächlich oft unser eigenes.
    Aber auch ein zweiter Helfer schwächelt, der den Start als Familie erleichtert – nämlich der Aufwind aus dem

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