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Menschenkinder

Menschenkinder

Titel: Menschenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Renz-Polster
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gelungener Geschlechtsakt.
    Eine Geburt geht deshalb auch nicht einfach los, sie braucht eine Atmosphäre der Sicherheit. Das ist von der Natur so vorgesehen: Keine Frau darf Wehen haben, solange sie einen Bären im Gebüsch brummen hört – ihr Baby wäre schon mit seinem ersten Atemzug ein totes Baby. Kein Wunder, dass gerade die anfänglichen Wehen schnell wieder aufhören, sobald sich die Gebärende irgendwie unsicher fühlt. Kein Wunder auch, dass in allen Kulturen die Begleitung durch vertraute und erfahrene Frauen dafür sorgt, dass diese Mobilisierung aller Kräfte bei gleichzeitiger Entspannung gelingen kann. Und das ist auch noch heute so. Wird eine Gebärende etwa von einer ihr vertrauten, geburtserfahrenen Frau (auch Doula genannt) durch die Geburt begleitet, so verläuft diese nachweisbar leichter und schneller – und ein Kaiserschnitt wird seltener erforderlich. Ein vertrauter Ort hilft bei diesem Balanceakt ebenfalls: Wird der Kreißsaal so umgestaltet, dass die Schwangere ihn als einen ruhigen, freundlichen Ort wahrnehmen kann, in dem sie sich während der Wehen auch frei bewegen
und herumgehen kann, so sind weniger Medikamente zur Verstärkung der Wehen erforderlich.
    In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob unser geburtshilfliches System noch genug Raum für diesen Hochseilakt lässt. Tatsächlich steht hinter einem Großteil der heutigen Kaiserschnitte ja eine auffällige Diagnose, nämlich Wehenschwäche. Gerade das, was eine Geburt eigentlich antreibt, schwächelt. Um Sicherheit zu geben, hat die moderne Geburtshilfe immer mehr Entspannung aus der Geburt genommen. Dafür wurde der Weg zum letztendlichen Loslassen mit immer mehr Eingriffen gepflastert – und die scheinen auf viele Frauen ähnlich zu wirken wie ein brummender Bär im Gebüsch.
    Na und?
    Wir leben heute ein durch und durch »künstliches« Leben – warum sollen wir da ausgerechnet die »natürliche« Geburt hochhalten? Die Kaiserschnittnarben sind ja heute nicht einmal mehr im Bikini zu sehen. Auch vermasselt eine operative Geburt noch lange nicht das Leben mit dem Baby – mit schwierigen Geburten hatte die Menschheit schon immer zu rechnen. Ja, es mag nach einer komplizierten Geburt am Anfang etwas schwieriger sein, aber das renkt sich ein. Studien mit Kaiserschnittbabys etwa zeigen, dass sie in den ersten Wochen tatsächlich unruhiger sind – dagegen hat diese Art der Entbindung keinen Einfluss auf die langfristige Bindung, das Gefühl der Zusammengehörigkeit oder gar die »Qualität« des Lebens. 13
    Und trotzdem haben Kaiserschnitte ihren Preis. Denn ein Kaiserschnitt ist eben nicht nur ein »kleiner Schnitt«. Ein Kaiserschnitt kann – wenn auch selten – weitere Schwangerschaften erschweren, und er kann zu komplizierten Schwangerschaftsverläufen beim nächsten Kind führen, etwa weil sich die Plazenta ungünstig einnistet und sich dadurch lösen kann. In diesem Zusammenhang
muss besonders der Trend nachdenklich stimmen, dass die Kaiserschnittrate in den letzten Jahren gerade bei jüngeren Frauen und Erstgebärenden überproportional angestiegen ist (was auch das Argument entkräftet, hinter der Epidemie der Kaiserschnitte stünden die immer älter werdenden Mütter).
    Vor allem aber muss auch das Kind einen Kaiserschnitt zuerst verkraften. Kinder müssen nach einem geplanten Kaiserschnitt etwa doppelt so häufig auf die Intensivstation aufgenommen werden, meist wegen Atemproblemen. Zudem mehren sich die Hinweise, dass durch Kaiserschnitt entbundene Kinder stärker zu Allergien neigen und etwas öfter an kindlichem Diabetes (Typ-1-Diabetes) erkranken. Diese Risiken sind – darauf will ich bewusst hinweisen – für das einzelne Kind sehr klein und bestimmt kein Grund zur Panik. 14 Dennoch halte ich es für ethisch und rechtlich bedenklich, dass bisher bei der Aufklärung vor einem Kaiserschnitt darauf nicht eingegangen wird.
    Schließlich hat auch die Familie nach einem Kaiserschnitt mehr zu verkraften. Jede durch medizinische Eingriffe erschwerte Geburt verändert nun einmal die Empfangsbedingungen für den Ankömmling und belastet die »Lernkette« – so kommt nach einem Kaiserschnitt das Stillen schwerer in Gang und der Umgang mit dem Baby wird als schwieriger empfunden.
    Wer ist schuldig?
    Damit sind wir beim eigentlichen Dilemma. Ja, es gibt unter den Geburtshelfern einzelne »Kaiserschnitt-Rambos«. Ja, es gibt einzelne Kliniken, deren Kaiserschnittraten inakzeptabel hoch sind (seltsamerweise werden

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