Menschenkinder
Säugetieren Verletzungen
bei der Geburt praktisch unbekannt sind, kommt es auch unter den besten Bedingungen bei menschlichen Geburten immer wieder zu Krisen, Komplikationen, ja, manchmal sogar zu Katastrophen. Es wird geschätzt, dass etwa 1% der Geburten ohne medizinische Hilfe für Mutter oder Kind tödlich enden.
Und damit wären wir beim Lob des Kaiserschnitts. Er hat unzähligen Müttern und Kindern das Leben gerettet. Und wir wären beim Lob der Hebammen und der Mediziner – sie haben unzähligen Müttern zu einem gesunden Kind verholfen.
Trotzdem steckt die Geburtshilfe heute in der Krise. Wie ein aus der Flasche entwichener Geist folgt sie immer konsequenter einem eigenen Willen. Und da geht es oft nicht mehr um die Rettung vor der Enge des Geburtskanals. Doch der Reihe nach.
Rätselhafte Geburtsrituale
93% der deutschen Schwangeren wünschen sich laut Umfragen eine vaginale Geburt. Von Helgoland bis zum Bodensee trainieren die werdenden Mütter in Geburtsvorbereitungskursen, sie lernen das richtige Atmen, das richtige Pressen, die richtige mentale Einstellung.
Dennoch geht dieser Wunsch nur mehr für zwei Drittel der Gebärenden in Erfüllung – und selbst dieser Anteil wird immer kleiner. Tatsächlich steigt die Rate der Kaiserschnitte seit Beginn der statistischen Erfassung vor zwei Jahrzehnten Jahr für Jahr an (zu Beginn der ja auch nicht gerade vormodernen 1990er-Jahre lag die Kaiserschnittrate in Deutschland noch bei 15%, inzwischen hat sie die 30%-Marke längst überschritten). Aber auch die vaginalen Geburten verlaufen immer seltener »natürlich«: Bei etwa 20% wird die Geburt eingeleitet, bevor die Wehen überhaupt beginnen. Bei 31% werden die Wehen durch einen Wehentropf verstärkt. Etwa 30% der vaginal Gebärenden erhält zur Erweiterung des Geburtskanals einen Dammschnitt. Nur noch jede Zwanzigste
erlebt eine spontane, nicht von medizinischen Eingriffen begleitete Geburt. Die normale Geburt, so die Forderung enttäuschter Hebammen, sollte zum Weltkulturerbe erklärt werden.
Warum gibt es immer weniger »normale« Geburten? Schon die Statistiken verwirren. In Sachsen wird etwa jede fünfte Schwangere durch Kaiserschnitt entbunden, im Saarland jede Dritte. Der Unterschied dürfte schwerlich damit zu erklären sein, dass die Saarländerinnen schlechter pressen können. In der Schweiz sind die Unterschiede noch größer: Fast 40% der Frauen im Kanton Zug gebaren 2009 per Kaiserschnitt, im Kanton Jura dagegen nicht einmal 20% – sind die Jurasserinnen robuster? Anlass zur Verwirrung gibt auch ein Blick nach Holland. Dort brauchen bis heute nur halb so viele Frauen einen Kaiserschnitt wie in Deutschland – die Säuglingssterblichkeit liegt dabei nicht höher. Und auch in Deutschland kommen heute nicht mehr gesunde Babys zur Welt als noch vor 15 Jahren, als die Kaiserschnittrate nur halb so hoch war.
Sogar von Krankenhaus zu Krankenhaus schwankt der Bedarf nach Lebensrettung per Kaiserschnitt enorm – selbst wenn man Äpfel mit Äpfeln vergleicht und etwa nur die Kreiskrankenhäuser anschaut. Die Gebärschwäche scheint dabei besonders unter den privat Versicherten zu grassieren. In der Schweiz etwa werden über 40% der Privatpatientinnen per Kaiserschnitt entbunden – aber nur 30% der gesetzlich Versicherten (in Deutschland ist der Trend ähnlich, auch wenn man da mit der Veröffentlichung solcher Daten etwas zurückhaltender ist). Ist die Stärke der Wehen eine Frage des Versicherungskärtchens?
Zumindest nach gängiger Lesart sollte das nicht so sein, denn noch jeder Kaiserschnitt wurde der Gebärenden gegenüber medizinisch begründet – um der Gesundheit des Kindes oder der Mutter willen sei der Kaiserschnitt die richtige Wahl. Das mag im individuellen Fall ja auch stimmen (ich rate keiner Gebärenden dazu, einen Kaiserschnitt einfach abzulehnen) – aber andere Einflüsse spielen eben auch eine Rolle. Anders wären die genannten Zahlen gar nicht zu erklären.
Und diese nicht-medizinischen Einflüsse scheinen den Trend immer stärker zu bestimmen. Nehmen wir einmal das schöne Alpenstädtchen Chablais in Aigle in der Schweiz. Das dortige Krankenhaus betreut Geburten für eine Bevölkerung von 80.000 Einwohnern. Gleichzeitig beherbergt es seit Längerem ein Geburtshaus, das von freiberuflichen Hebammen geführt wird. Eine Gegenüberstellung der Geburten (bei der bewusst nur Geburten mit einem ähnlichen Geburtsrisiko verglichen werden) zeigt, dass im Hebammen-Geburtshaus 7% der
Weitere Kostenlose Bücher