Menschenopfer - Gibert, M: Menschenopfer
dass Sie ihn unbedingt finden wollen?«
»Halt dein Maul!«, brüllte der Mann. »Du stellst hier nicht die Fragen. Nicht du.«
»Aber ich …«
»Schnauze!«
Es sah so aus, als würde er ein paar Augenblicke lang nachdenken, wie er nun weiter vorgehen sollte.
Wenn er die Tür aufgebrochen hätte, wäre mir das sicher aufgefallen. Vielleicht kann er aber auch Türen so öffnen, dass man davon nichts bemerkt?
»Ihr wohnt hier zusammen?«
»Ja.«
»Gibt es noch eine andere Wohnung, wo ihr hin könntet?«
»Nein, nur diese hier«, log sie.
»Ist er bei Freunden untergekommen?«
»Nein. Das wüsste ich.«
Sie sah dem Fremden, der noch immer das Messer und das Geld, ihr Geld, in den Händen hielt, in die Augen. Was sie in diesem Moment dort erkannte, ließ die junge Frau erschaudern.
»Wollte er zurück nach Japan?«
Watane deutete auf das Bündel in seiner Hand.
»Womit denn? Das ist alles, was wir haben.«
Er warf einen verächtlichen Blick auf das Geld.
»Schönes Leben, das ihr führt.«
Damit ließ er die Banknoten auf den Tisch regnen, stieß sich mit einer schnellen, gazellenhaften Bewegung von der Türkante ab und war ein paar Sekundenbruchteile später bei Watane Origawa angekommen, der sofort der leicht modrige Geruch seiner Lederjacke in die Nase stieg.
»Deine letzte Chance«, flüsterte er, wobei sich die rasiermesserscharfe Klinge seines Messers schon an ihrem Hals befand.
Sie wollte schreien, war sich jedoch darüber im Klaren, dass jedes falsche Wort und jede überhastete Bewegung das Ende ihres Lebens einleiten konnte. Wenn es nicht ohnehin beschlossene Sache war, dass ihr Leben innerhalb der nächsten Sekunden zu Ende gehen würde.
»W o i s t e r?«, hauchte der Mann tonlos und aus kürzester Entfernung in ihr rechtes Ohr.
»Ich weiß es doch wirklich nicht.«
»Das ist nicht gut für dich. Du warst nämlich meine letzte Hoffnung.«
»Aber …«
Sie spürte, wie die Klinge die Haut ihres Halses aufritzte, ohne dass der Mann über ihr sonderlich viel Kraft investiert hätte, und sie realisierte, dass ihr Leben gleich zu Ende gehen würde, wenn nicht etwas Entscheidendes passierte.
Das, was im nächsten Augenblick tatsächlich geschah, hätte die junge Frau in ihren kühnsten Träumen nicht erwartet, denn es war ein ebenso gewaltiges wie gewalttätiges Aufbäumen ihres Lebenswillens. Des Willens, ihr Leben nicht in dieser heruntergekommenen Wohnung im Kasseler Westen zu verlieren.
Gleichzeitig mit den Tränen, die sich in einem einzigen Schwall aus ihren Augen lösten, riss sie mit einer irrwitzig schnellen Bewegung den Oberkörper nach hinten, schoss ihr rechter Arm nach vorn und griff ihre Hand nach dem ersten Besten, was sie zu fassen bekam. Das war das Dreieck am oberen Ende seiner leger geschnittenen Jeans zwischen seinen Beinen, und es waren die beiden Hoden ihres mutmaßlichen Mörders, der darauf mit einem spitzen Schrei reagierte und die Augen schmerzverzerrt aufriss. Watane hatte in ihrem Leben schon häufig die Hoden eines Mannes in den Händen gehalten, immer zärtlich und mit der nötigen Vorsicht allerdings. In diesem Sekundenbruchteil jedoch investierte sie all ihre Kraft in ein animalisches Zusammenpressen, Drehen und Ziehen dieser beiden so überaus empfindlichen Körperteile des Mannes und verkrampfte ihre Hand so entschlossen, dass die Adern an ihrern Schläfen hervortraten. Wie in Trance hörte sie, dass etwas auf dem Boden aufschlug und dass der Mann, der sie soeben noch wie ein nutzloses Tier hatte umbringen wollen, mit einem markerschütternden Schrei nach hinten stürzte, wo er mit blutleerem Gesicht zuckend liegenblieb. Watane, die von seiner ruckartigen Bewegung mitgerissen worden war und deren Hand noch immer seine beiden Eier mit aller Kraft und verbissen zusammenquetschte, stürzte über ihn und traute sich trotzdem nicht, den Griff zu lockern. Es dauerte gefühlte Stunden, bis sie realisierte, dass der Mann wegen der so urplötzlich einsetzenden, höllischen Schmerzen in seinem Unterleib einfach ohnmächtig geworden war. Dass ihr Griff in seine Weichteile vermutlich ihr Leben gerettet und seines für den Rest seiner Tage zum Negativen verändert hatte, denn dort, wo vor ein paar Sekunden noch deutlicher Widerstand in ihrer Hand zu spüren war, befand sich nun eine undefinierbare, vermutlich irreparabel zerquetschte Masse.
Während sie in Zeitlupe ihren Griff lockerte, immer darauf bedacht, jederzeit wieder zufassen zu können, kamen aus seinem
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