Menschenopfer - Gibert, M: Menschenopfer
sehr gerne«, beschied ihn der Polizist, dem nach Röders Verschwinden auffiel, dass sein Kollege schon länger nicht mehr zu sehen gewesen war.
»Thilo?«, rief er laut.
»Ich bin hier, im Kabuff«, kam es von hinter den Kühltruhen. Lenz setzte sich langsam in Bewegung und erblickte kurz darauf eine alte Holztür, die angelehnt war und offenbar in einen anderen Raum führte.
»Thilo?«, rief er erneut.
Die Tür öffnete sich langsam, und Hain trat ihm, mit Spinnweben übersät, entgegen.
»Was machst du denn für ein Geschrei? Ich bin doch nicht taub. Und einer muss ja, während du Small Talk mit dem Nachbarn hältst, die Arbeit machen.«
»Nun mach aber mal …«, wollte der Hauptkommissar sich beschweren, doch Hain winkte grinsend ab.
»Hör auf zu wimmern. Wenn deine Rechtfertigungsorgien sich mit zunehmendem Alter noch steigern sollten, suche ich mir spätestens nächstes Jahr einen anderen Job. Das ist ja kaum zum Aushalten.«
Weil sein Chef in Folge seiner Ansage unter temporärem, schlagartigem und totalem Ausfall des Sprachorgans litt, deutete er auf die Tür.
»Dahinter verbirgt sich die elektrische Anlage der Halle, wenn man das so nennen will.«
Er zog die Tür auf und leuchtete mit seiner Taschenlampe in den kleinen Raum, der sich dahinter verbarg. Lenz erkannte einen Haufen Drähte, die unter einem alten Sicherungskasten lose aus der Wand hingen.
»Wer immer das gemacht hat«, setzte Hain seine Erklärung fort, »hat zumindest gewusst, wie er es machen muss. Ob es gut war, wage ich jetzt mal zu bezweifeln, denn irgendwann wäre die Bude garantiert abgefackelt, weil die Leitungen, speziell die Hauptleitung nach draußen, einfach total überlastet gewesen sind.«
»Aber«, unternahm Lenz einen leisen Widerspruch, »in so einem Fall fliegen doch zuerst mal die Sicherungen raus, oder?«
»Normal ja«, stimmte Hain ihm im Grundsatz zu und richtete den Lichtkegel der Taschenlampe auf den Sicherungskasten.
»Hier allerdings wäre das nicht passiert, weil der oder die Verursacher dieses Kabelverhaus die Sicherungen einfach umgangen haben. Die gesamten Verbraucher, also die Kühltruhen, die hier laufen, sind nicht die Bohne abgesichert.«
»Gut, das hab ich verstanden. Meinst du, wir müssen die Dinger jetzt vom Strom nehmen, damit hier nichts anbrennt?«
»Besser wäre es, wobei dann allerdings bis morgen früh hier ein extrem großer Fischfriedhof entstehen würde.«
»Also schlägst du vor, die Bude zu versiegeln, Heini und seine Jungs anzurufen, nebenan einen kurzen Tee zu trinken und im Anschluss Feierabend zu machen?«
»Genau in der angesprochenen Reihenfolge.«
Dieser ausgeklügelte Plan der beiden Kommissare wurde dadurch torpediert, dass Heini Kostkamp und sein Team an einem Supermarkt im Einsatz waren, der ein paar Stunden zuvor überfallen worden war. Lenz einigte sich mit seinem alten Kumpel von der Spurensicherung darauf, dass die Halle am nächsten Morgen absolute Priorität genießen würde.
Aber ein Siegel hast du wenigstens an die Tür gepappt, hoffe ich , hatte der knorrige Kostkamp noch gebrummt, was Lenz voller Freude bejahen konnte.
*
»Wie sind die beiden denn nun ums Leben gekommen?«, wollte Medard Röder wissen, nachdem er, seine Frau und die beiden Polizisten an dem wunderschönen alten Eichentisch in der Küche des Ehepaares Platz genommen hatten.
»Sie wurden, nach unseren bisherigen Erkenntnissen, erstochen und danach verbrannt.«
»Oh Gott, dann waren sie zwei der drei Toten in der abgebrannten Gartenlaube? Davon habe ich heute in der Zeitung gelesen.«
»Ja.«
»Erstochen also. Kein schöner Tod, wie ich vermute. Aber doch irgendwie zu den Herren passend.«
»Medard«, kam es warnend von Röders Frau.
»Schon gut, Schatz. Ich bremse mich.«
»Wie meinen Sie das?«, wollte Hain wissen.
»Er meint das gar nicht«, mischte sich Petra Röder, ihrem Mann zugewandt, ein und tastete nach seiner Hand.
»Mein lieber Mann trägt, obwohl Geisteswissenschaftler, sein Herz manchmal auf der Zunge. Dann sagt er Dinge, die er besser für sich behalten sollte.«
Der junge Oberkommissar zuckte mit den Schultern.
»Aber wir sind doch unter uns, Frau Röder. Da kann man seinen Gedanken schon mal freien Lauf lassen.«
»Nein«, widersprach sie leise, »das denke ich, speziell in diesem Fall, überhaupt nicht.«
»Was genau macht diesen Fall so speziell?«, fragte Lenz in die Runde.
»Für meinen Mann macht diesen Fall so speziell, dass ich ihn noch niemals
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