Menschenopfer - Gibert, M: Menschenopfer
habe bei der Nipimex Sachen gesehen, die ich nie hätte sehen dürfen, deshalb bin ich schon seit ein paar Monaten auf dem Sprung zurück nach Japan. Leider ist mein Vater ein echter Wichser, der mich windelweich prügeln würde, wenn ich es wirklich täte. Also halte ich, so gut es geht, durch und versuche, möglichst wenig aufzufallen.«
»Was genau hast du denn gesehen?«
Wieder schweifte Yokos Blick durch den Raum, bevor sie antwortete.
»Bei der Nipimex laufen ganz viele illegale Sachen. Die meisten der Leute, die dort arbeiten, sind nicht angemeldet, so geht es schon mal los. Dann zahlen die eigentlich so gut wie gar keine Steuern, weil sie die meisten Deals, die sie machen, einfach nicht angeben. Aber das Größte ist die Schutzgelderpressung, die dort abläuft.«
»Wie meinst du das, Schutzgelderpressung ?«
»Wie soll ich das schon meinen? Die erpressen von den japanischen Restaurants, die sie beliefern, Geld.«
»Aber so viele können das doch gar nicht sein.«
»Um die 200. Und wenn du meinst, dass dabei keine Kohle rumkommt, hast du dich geschnitten. Dabei ist ganz schön was drin.«
Watane sah ihre Informantin mit großen Augen an.
»Und woher weißt du das alles?«
»Ich sage doch, dass ich Dinge gesehen hab, die ich nie hätte zu Gesicht kriegen dürfen. Außerdem hatte ich mal eine kurze Liaison mit einem der beiden Einkäufer. Der hat mir ganz bereitwillig die Sachen gesteckt, die ich noch nicht wusste und die mich besser auch nicht interessiert hätten.«
»Und warum ist das nichts mehr mit dir und ihm?«
»Er ist zurück nach Yokohama gegangen. Und seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört.«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Ist mir recht gewesen. Der Typ ist mir ganz schön auf die Nerven gegangen.«
Die junge Frau nahm einen Schluck von ihrem Cocktail, bevor sie sich wieder in der Kneipe umsah.
»Und im Moment läuft irgendein richtig großes Ding, über das ich allerdings noch nichts rausgefunden habe. Der alte Tondo und der Rest seiner skrupellosen Bande sind nämlich hypernervös; so wie in den letzten Wochen habe ich die noch nie erlebt.«
»Gehört diese Frau Aroyo, die mich eingestellt hat, auch zu denen?«
Nun fing Yoko Tanaka laut an zu lachen.
»Die? Das ist die Schlimmste von allen! Außerdem hat sie was mit dem Alten am Laufen.«
Watane riss ungläubig die Augen auf.
»Das kann ich mir aber gar nicht vorstellen«, widersprach sie vorsichtig.
»Doch, kannst mir glauben. Ich bin mal abends zurück ins Gebäude, weil ich mein Telefon an der Rezeption liegen gelassen hatte, und da hab ich sie stöhnen gehört. Zuerst dachte ich, ihr sei etwas passiert, aber dann hab ich auch meinen Onkel gehört, der geprustet hat wie ein Wal auf dem Trockenen, und da war mir alles klar. Zum Glück haben sie mich nicht bemerkt, sonst würde ich schon längst Tiefkühlfisch stapeln.«
Wieder nahm die dunkelhaarige Frau einen Schluck des bunten Getränks in ihrem Glas.
»Aber das machst ja ab morgen du«, kicherte sie.
»He«, protestierte Watane, »das ist noch gar nicht sicher. Ich habe dir eben gesagt, dass ich mich noch nicht entschieden habe. Also hör bitte auf, dich über mich lustigzumachen.«
Es entstand eine kurze Pause, bevor Yoko Tanaka sich reumütig zeigte.
»Ich hab es nicht böse gemeint, also sei nicht sauer. Erzähl mir lieber was von dir.«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich bin jung und brauche Geld.«
»Und was hast du bis jetzt gemacht?«
Watane schluckte. Wenn sie der Großcousine von Daijiro Tondo misstraute, musste sie bei ihrer Lüge bleiben, sie sei eine verkrachte Studentin. Wenn nicht, konnte sie ihr die Wahrheit erzählen. Unschlüssig nippte sie an ihrer Cola.
»Na, was ist?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir vertrauen kann.«
Wieder ein Lachen von gegenüber, diesmal allerdings ein hämisches.
»Was glaubst du, was ich hier mache? Ich erzähle dir alles, was ich weiß, damit du nicht in die Nipimex-Scheiße gerätst, und du fragst dich, ob du mir vertrauen kannst. Das ist wirklich gut.«
Ihr Gesicht drückte echten Ärger aus.
»Nein, bitte«, ruderte Watane zurück, »ich wollte dich nicht persönlich …«
Ohne dass sie es beeinflussen konnte, rollte die erste Träne über ihre Wange.
»Es ist im Moment alles so furchtbar«, sprudelte es nun aus ihr heraus. »Mein Freund ist verschwunden, vor ein paar Stunden wollte mich ein richtig ekelhafter Typ umbringen, und ich habe nicht die geringste Ahnung, warum das alles
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