Menschenopfer - Gibert, M: Menschenopfer
Boden in einer Verteilerdose verschwand.
»Fuck«, schrie sie erneut und hob den stinkenden Finger, worauf die Flamme erlosch. Aus der Dunkelheit hinter ihr hörte sie ein leises Wimmern. Offenbar stand Watane kurz davor, das Bewusstsein zurückzuerlangen.
An Sauerstoffmangel werden wir hier drin nicht sterben , dachte sie, während ihr gesamter Körper von einer Woge der in alle Poren eindringenden Kälte geschüttelt wurde. Aber der Kälte können wir nicht lange etwas entgegensetzen. Wie lange? Stunden?
Die Japanerin nahm das Feuerzeug zurück in die linke Hand und wollte es starten, doch sie schaffte es nicht. Ihre Finger waren mittlerweile so kalt, dass es ihr nicht möglich war, sie koordiniert einzusetzen. Also steckte sie das Feuerzeug in die offene Hand, wickelte die Finger darum, drückte auf den Taster, der das Gas frei gab, und zog die andere Hand über das Reibrad des Zündsteins. Wieder brauchte sie fast zehn Versuche, bis ihre Mühen von Erfolg gekrönt waren und die Flamme aufloderte. Allerdings war sie deutlich kleiner als noch ein paar Sekunden zuvor.
Verdammter Mist, gleich ist das Gas alle.
Ihre Augen suchten weiter nach einem Lichtschalter, doch langsam setzte sich bei der jungen Frau die Erkenntnis durch, dass es im Innern des Kühlhauses keinen gab. Vermutlich konnte man die Leuchtstoffröhren nur von außerhalb in Gang setzen. Mit schnellen Schritten ging sie an der Tür vorbei auf die andere Seite, folgte der Wand bis zur Ecke und wollte sich gerade abwenden, als ihr Blick an etwas hängen blieb. Etwas widerlich Aussehendem. Knapp einen Meter neben einem Stapel Europaletten, abgedeckt von ein paar Pappkartons, lugte der obere Teil einer Schweinehälfte mit dem in der Mitte durchtrennten Kopf und der sichtbaren Schnittkante aus einem Edelstahlrollwagen. Yoko kämpfte mit dem erneut einsetzenden Brechreiz, doch diesmal hatte sie keine Chance. Das Feuerzeug verließ wieder ihre Hand, und es dauerte keine Sekunde, bis sie ihren Körper nach vorn beugte und sich übergab.
»Scheiße«, murmelte die Japanerin, nachdem sie sich aufgerichtet und mit dem Ärmel ihrer Jacke über den Mund gewischt hatte.
»Yoko?«, kam es leise aus dem Hintergrund. »Yoko, wo bist du?«
»Ich bin hier. Warte einen Augenblick, ich bin gleich bei dir.«
»Mir ist so furchtbar kalt.«
»Mir auch. Aber ich habe keine Ahnung, was wir dagegen tun könnten.«
Die Großcousine von Daijiro Tondo entflammte das Feuerzeug und setzte sich langsam in Bewegung.
»Wie geht es deinem Kopf?«, wollte sie wissen, als sie bei Watane angekommen war. Das Licht des Feuers in ihrer Hand war nun bläulich und kaum noch zu erkennen.
»Ich weiß nicht. Er brummt ganz komisch.«
»Das kommt vermutlich daher, dass du umgefallen und auf den Boden geknallt bist.«
»Davon weiß ich nichts mehr. Wann war das?«
»Es ist keine fünf Minuten her.«
»Oh.«
»Ich habe nach einem Lichtschalter gesucht, aber leider keinen gefunden.«
Sie dachte kurz nach.
»Sag mal, hat dein Shinji eigentlich geraucht?«
»Nein, warum?«
»Weil er dann vielleicht ein Feuerzeug mit sich herumgeschleppt haben könnte.«
Über Watanes Gesicht lief eine dicke Träne.
»Er ist tot.«
»Das stimmt, Watane. Shinji ist tot, und daran gibt es auch nichts mehr zu rütteln. Aber wir beide leben noch, und wenn es nach mir geht, wird das auch so bleiben. Also musst du dich jetzt zusammenreißen und darfst nicht ständig anfangen zu flennen. Zumindest, bis wir hier raus sind.«
Schweigen.
»Watane, hast du mich verstanden?«
»Ja.«
Wieder ein paar Sekunden, in denen das gepresste Atmen der Frauen zu hören war, und wieder kämpfte Watane deutlich hörbar mit den Tränen.
»Ich habe so schreckliche Angst, Yoko, und mir ist so furchtbar kalt. Ich will nicht hier sterben.«
»Ich will auch nicht in diesem verdammten Kühlhaus sterben, Watane, obwohl Erfrieren ein schöner Tod sein soll. Ich will als alte Frau in einem Bett sterben und ich werde alles daransetzen, dass es auch dazu kommt.«
Wieder entstand eine Pause, in der jede der Frauen ihren Gedanken nachhing.
»Dann lass uns mal loslegen und nach einer Möglichkeit suchen, um hier rauszukommen, bevor wir noch auf dem Boden festfrieren«, schlug Yoko vor und half ihrer Gefährtin auf die noch immer wackeligen Beine.
»Was machen wir, wenn es keine Möglichkeit gibt?«, wollte Watane wissen, als beide sich langsam und an den Händen gefasst in die Richtung der Ausgangstür vortasteten.
»Das weiß
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