Menschenopfer - Gibert, M: Menschenopfer
Feuerwehrfahrzeuge und Polizeiwagen wahr, die mit ihren zuckenden blauen Leuchten auf den Dächern die gesamte Szenerie in eine unwirkliche, irgendwie jedoch auch künstlerisch anmutende Bühne verwandelten.
Lehmann hatte mit seiner Schilderung der Lagerhalle absolut nicht übertrieben, ganz im Gegenteil. Alles, was aus Holz gewesen war, hatte sich buchstäblich in Rauch aufgelöst; die kläglichen Überbleibsel der Backsteinmauern, vor denen Lenz und Hain am Vortag noch gestanden hatten, lagen zum größten Teil in den qualmenden Resten der Halle. Im strahlenden Licht einer auf einem Feuerwehrwagen montierten Scheinwerferbatterie erkannte der Hauptkommissar die mattschwarzen, verbogenen und teilweise geschmolzenen Ruinen der Kühltruhen. Alle Griffe, Abdeckungen und sonstigen Kunststoffteile waren dem Feuer zum Opfer gefallen.
»Sieht scheiße aus hier, was meinst du?«
Der Hauptkommissar drehte sich um und sah in das sorgenvolle Bluthochdruckgesicht von Jürgen Lehmann.
»Das stimmt.«
Er deutete auf das Nachbarhaus.
»Und was genau ist nun mit dem Ehepaar, das dort wohnt?«
Lehmanns Gesichtszüge verfinsterten sich um einige weitere Nuancen.
»Es geht ihnen nicht gut. Ganz und gar nicht, um genau zu sein.«
Wieder wandte sich der Blick von Lenz zu dem Wohnhaus.
»Warum? So schlimm kann der Brand bei ihnen in der Wohnung doch nicht gewütet haben.«
Lehmann schluckte deutlich sichtbar.
»Hat er auch nicht. Aber die beiden lagen gefesselt auf dem Bett, was ihnen nicht unbedingt dabei geholfen hat, der schweren Rauchvergiftung aus dem Weg zu gehen. Zur Zeit werden sie im Klinikum versorgt, aber der Notarzt hat mir gesteckt, dass es nicht gut aussieht, besonders nicht bei der Frau.«
»Gefesselt?«, fragte Lenz ungläubig. »Welcher Drecksack fesselt denn die armen Leute und steckt danach die Bude an?«
»Das wissen wir noch nicht. Aber wenn du sowieso schon hier bist, kannst du die Nummer auch gleich zu deinem Fall machen, was hältst du davon?«
»Ja, klar«, erwiderte Lenz, um seinem Kollegen im gleichen Augenblick einen verwunderten Blick zukommen zu lassen.
»Warum treibst du dich überhaupt hier rum, Lemmi? Du hattest doch heute tagsüber Dienst, also müsstest du eigentlich friedlich im Bett liegen und tief und fest schlafen.«
»Hab ich auch gemacht. Aber als klar war, dass es sich bei der Sache hier um die Halle der Eberhardt-Brüder handelt, hat die Nachtschicht bei mir angerufen. Wir hatten heute Mittag noch über Fritz und Ottmar gesprochen, und dabei kam natürlich auch die Halle hier aufs Tapet. Außerdem weiß jeder im Präsidium, dass mich mit den beiden mehr verbunden hat als nur die Liebe zum Kicken.«
»Hmm«, machte der Hauptkommissar abwesend. »Und jetzt erzähl mir bitte, was bisher an Fakten klar ist.«
»Klar ist«, fing Lehmann sofort an, »dass gegen 1:30 Uhr ein kleiner Laster auf den Hof gefahren ist. Das wissen wir von einem Minicarfahrer, der nach einer Durchsage der Zentrale mit der Bitte um Hilfe hier aufgekreuzt ist und den Kollegen davon berichtet hat, dass er um diese Uhrzeit genau das beobachtet hat. Ein weißer Kleinlaster, vermutlich ein 7,5-Tonner, ist ziemlich umständlich rückwärts auf den Hof gefahren und hat sich mit der Heckklappe gegen die Tore der Halle gestellt.«
»Personenbeschreibung?«
Lehmann winkte ab.
»Fehlanzeige.«
»Also mit der Heckklappe gegen die Tore? Hat er etwas geliefert?«
»Das kann ich dir nicht sagen. Vielleicht wollte er auch was abholen.«
Lenz sah den Kollegen vom KDD einen Wimpernschlag lang entgeistert an, drehte sich auf dem Absatz um und nahm Kurs auf die Reste der Halle.
»He, he, Meister«, schrie ihn ein Feuerwehrmann von der Seite an, »da können Sie auf gar keinen Fall jetzt rein.«
Ohne auf den Mann zu achten, stieg der Hauptkommissar über das Trassierband, hinter dem trotz der Uhrzeit ein paar Gaffer standen, zog ein Papiertaschentuch aus dem Mantel, hielt es vor den Mund und stand ein paar Augenblicke später vor einer der total niedergebrannten Kühltruhen, wobei er versuchte, nicht in eine der Pfützen zu treten, in denen die Überreste des Löschwassers teilweise knöchelhoch standen. Mit spitzen Fingern ertastete er, dass der bei näherer Betrachtung dunkelbraune Deckel nicht mehr heiß war, und schob ihn danach völlig emotionslos nach hinten, woraufhin das Blechteil mit einem lauten Krachen auf dem Boden aufschlug.
»Na, hast du Hunger?«, wollte im gleichen Augenblick eine vertraute Stimme aus
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